Studioportrait: Anthony Rother – Wizzard of OF

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Anthony Rother ist zwar als musikalisches Arbeitstier bekannt, aber diese Output-Schlagzahl überrascht dann doch. Ende Juli erst ist sein Electro-Album „Netzwerk der Zukunft“ erschienen, aber schon jetzt legt er den Longplayer „Verbalizer“ nach. Darauf enthalten sind neun neue Tracks, die ein Technogewitter aufziehen lassen, wie man es in dieser 4/4-Konsequenz vom Offenbacher bislang noch nicht kannte. No vocals, pure sound. Eigens dafür hat der DJ und Poduzent das neue Label „nxtdata“ gegründet und hat Mitte Oktober zudem noch die neue Party-Reihe „Monophonia/Beton und Techno“ in Frankfurt gestartet. Werfen wir mal einen Blick hinter die Tür seines inzwischen fünften Studios, jetzt befindlich im denkmalgeschützten Bau der ehemaligen Hassia Schuhfabrik.

Kannst du dich noch an dein erstes Studio-Setup erinnern?
Ziemlich genau sogar. Das war ein Roland JD800 Synthesizer, den ich übrigens immer noch nutze. Dann ein Ensoniq AS10 Sampler und DP4+ Effektgerät, eine Roland TR-505 Drummachine und ein Behringer MX8000 Mischpult. Damit hab ich meine ersten Kanzleramt-Produktionen gemacht, beispielsweise unter dem Pseudonym „Psi Performer“. Die „Sex With The Machines“ ist damit auch entstanden, allerdings kam da bereits das Digidesign Harddisc-System Session 8 hinzu, das ich damals günstig erstanden hab. Damit war ich meiner Erinnerung nach der erste unter den Kanzleramt-Künstlern. Das System hatte einige Vorteile: Ich konnte damit längere Textpassagen einspielen und habe damit auch die Vocoder-Stimmen erzeugt. Zudem ließen sich die einzelnen Spuren bearbeiten und sogar so übersteuern, dass es gut klang. Selbst das CD-Mastering habe ich mit dem Session 8 gemacht. Die Vinyls dagegen wurden, wie wohl von den meisten Dance-Acts damals, bei Dubplate & Mastering in Berlin geschnitten.

Halten deine damaligen Produktionen deinen heutigen Ansprüchen noch stand?
Gerade „Sex With The Machines“ würde ich soundtechnisch immer noch mit gut bewerten. Beim diesjährigen Album „Netzwerk der Zukunft“ habe ich mich, was die Lautstärke und Dynamik betrifft, dem sogar bewusst wieder angenähert.

Wie hat sich dein Studio im Laufe der Jahre dann verändert?
Am Anfang habe ich fast ausschließlich mit Hardware gearbeitet, ab dem Jahr 2000 kamen dann viele Plugins hinzu. Deshalb bin ich damals auch von Cubase auf Logic umgestiegen, weil die Auswahl an hochwertigen Plugin größer war. So ist damals „Simulationszeitalter“ entstanden. Bis 2005 habe ich nebenbei zwar immer noch Hardware gekauft, ab 2006 dann aber komplett auf virtuell umgestellt, selbst das Mischpult schaffte ich ab. Seit 2010 nutze ich wieder vornehmlich Hardware. Software-Synths spielen gar keine Rolle mehr, Plugins setze ich nur noch für Effekte ein.

Weshalb diese technische Kehrtwende?
Das ist eher eine psychologische Sache als technisch wirklich begründbar. Ich ziehe ja die Grenze bewusst nicht zwischen analog und digital, sondern zwischen Hard- und Software. Ich arbeite ja immer schon auch mit digitalen Instrumenten. Bereits der Roland JD800 ist keineswegs analog. Bei virtuellen Instrumenten geht bei mir allerdings ein ganz wichtiges, kreatives Grundgefühl abhanden – selbst wenn ich mit Controllern arbeite. Ein Hardwaregerät hat ein vom Hersteller speziell auf die Klangerzeugung zugeschnittenes Design. Und ich benötige offenbar dieses geschlossene System eines Hardware-Synthesizers mit all seinen Eigenarten, um mich reinfallen lassen zu können. Untergeordnet spielt auch der Klang eine Rolle. Filter und Oszillatoren von Hardware erzeugen Dreck und Schwebungen, die sich nur schwer simulieren lassen. Bei Software klingt es für mich immer wie durch eine Scheibe. Das möchte ich aber nicht überbewerten, weil es ohnehin nur für absolute Profis einen Unterschied macht. Mir geht es wirklich mehr um die Haptik, die visuelle Tiefe, die Interaktion der verschiedenen Maschinen, der Strom der durch die Kabel läuft – eben diese ganz gewisse Studioatmosphäre. Kurz gesagt: Ich könnte zwar mit Software arbeiten, bin aber in der glücklichen Lage, es nicht zu müssen.

Das Mastering machst du immer noch selbst?
Nein, das macht der Tony Calhoun. Er ist D’n’B-DJ aus Frankfurt und betreibt dort das Masteringstudio 3M. Mit ihm arbeite ich seit 2004, weil ich mit dem Album „Popkiller“ etwas Neues ausprobieren wollte. Beim Track „Back Home“ haben wir damals drei Monate an den Sounds gefeilt und viel mit Plugins experimentiert. Er macht alles digital und hat den kompletten Datapunk-Katalog gemacht, auch meine Cocoon-Remixe. Ich lege sehr viel wert auf gutes Mastering und bin bei jedem Release, dass der Tony mastert auch immer persönlich dabei.

Rentiert sich das?
Es ist natürlich ein Kostenfaktor. Aber wenn man es als Produzent wirklich ernst meint und auf einem gewissen Niveau arbeiten möchte, stellt sich die Frage nicht mehr. Ein professionelles Mastering muss gemacht werden, um dem Pre-Mastering den letzten Schliff zu geben. Sonst ist es wie ein Marmeladenglas, bei dem der Deckel fehlt.

Wie viele Hardwareinstrumente besitzt du derzeit?
Oh – ich habe sie nie gezählt, aber mehr als 30 auf jeden Fall. Obwohl ich vor einiger Zeit noch ausgemistet habe. Mein jetziges Setup nutze ich dann aber auch wirklich bis zum letzten Gerät. Meine Instrumente betrachte ich zwar als gute Freunde, bin da aber ansonsten nicht nostalgisch. Etwas nur zu behalten, weil es Erinnerungs- oder Raritätenwert, ist nicht mein Ding. Mich interessiert ganz generell im Leben nur das heute und morgen.

Was sind deine größten Schätze?
Zweifellos der Waldorf Wave. Alle anderen habe ich wieder verkauft. Die Roland TR-808 und TR-909 sind auch vorhanden, aber ich nutze sie eher selten. Genau genommen beim aktuellen Verbalizer-Album seit langem das erste Mal wieder.

Was ist dein Lieblingsinstrument?
Das Modularsystem, was ich mir in den letzten Monaten aufgebaut habe. Das habe ich sehr intensiv bei Verbalizer eingesetzt. Es ist eine bunte Mischung aus Modulen verschiedenster Hersteller. Das habe ich mir an meinem letzten Geburtstag bei Schneiders Büro in Berlin zusammengesetzt. Ich hab dort einen ganzen Tag verbracht und ein Grundsystem zusammengestellt. Damals war mir noch nicht klar, wie süchtig ich davon werden würde. Inzwischen umfasst es drei Cases.

Dein Setup für „Verbalizer“ sah wie aus?
Ein festes Setup gibt es bei mir gar nicht. Ich bin immer wieder hin und her gesprungen, habe herumprobiert und mich so meinem Wunschsound genähert. Das ist ja das, was ich eingangs bei der Hard- und Software-Frage meinte. Die Maschinen ebnen durch ihre Eigenschaften immer wieder eigene kreative Wege. Und physisch in Bewegung zu bleiben, also nicht auf dem Sessel zu kleben und stur auf den Monitor zu starren, ist für mich ebenso wichtig. Wichtig. Klanglich stand bei Verbalizer besagtes Modularsystem im Zentrum, das ich aber auch immer wieder neu verpatcht habe. Die Möglichkeiten sind ja fast unendlich. Der eine Track enthält dann zusätzlich einen Nordlead 3 und JD800, der andere wiederum eine Roland SH-101.

Was aber den Nachteil hat, dass du gar nicht mehr alles genau rekonstruieren könntest?
Doch, zum Großteil schon. 95 Prozent des Studios sind sowieso fest verkabelt und laufen in der Avid Venue Konsole zusammen. Es geht dann nur noch darum, was ich über den Logic Audio ansteuere. Deshalb habe ich in mein auch zwei umfangreiche MIDI-to-CV-Interfaces im Modularsystem, um die analogen Module über den Softwaresequencer ansteuern zu können. Wenn ich natürlich das Modularsystem umpatche oder Analog-Synths ohne Speicher einsetze, sind die Sounds verloren. Grob weiß ich aber an den betreffenden Instrumenten inzwischen, was ich wie verschalten oder einstellen muss, um einen bestimmten Sound zu kreieren. Und auch wenn es im Grundsatz einen bestimmten Rother-Sound geben, ist es darüber überhaupt nicht mein Ziel, Klänge bis ins Detail zu rekapitulieren.

Es gibt also jetzt auch kein separates Electro- und Techno-Setup?
Nein. Ich weiß einfach, welche Geräte ich für welche Sounds heranziehen muss. Da gibt es dann natürlich schon Unterschiede. Die Drums bei „Netzwerk der Zukunft“ sind beispielsweise mit dem Nord Modular sowie Nord Drum 1 und 2 erzeugt, die ich bei Verbalizer nicht angerührt habe. Da wollte ich es Roland-klassisch.

Das größte Geheimnis deines Studios ist …?
… dass ich es selbst nicht kenne. Es ist möglicherweise die einzigartige Kombination der verschiedenen Komponenten. Diese bilden sozusagen einen eigenständigen Organismus, in den ich zwar gezielt eingreifen, den ich aber nie vollständig beherrschen kann. Nenne es die Seele in der Maschine. Das Setup ist immer wieder für Überraschungen gut. Häufig genug sitze ich selbst daneben, wundere und freue mich, was passiert. Irgendein geheimes „Zaubertool“ gibt es jedenfalls nicht. / Matthias Thienel

Das Anthony Rother-Album „Verbalizer“ ist am 17. Oktober auf nxtdata erschienen und ist als CD (amazon.de), Doppelmaxi (dj.de) und Download erhältlich.

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www.anthony-rother.de

Aus dem FAZEmag 032/10.2014

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