Szene Hamburg – Subkultur in Not

SOS aus der Hafencity. Die Substanz der subkulturellen Szene in Hamburg bröckelt gewaltig – und das nicht erst seit gestern. Clubs schließen und werden von ihren Standorten verdrängt, Freiflächen werden blockiert und die Innenstadt mutiert immer mehr zu einer regelrechten Kommerz-Hölle. Sich in ihrer Existenz bedroht fühlend, gehen Kulturschaffende deshalb immer häufiger auf die Straße und demonstrieren gegen das voranschreitende Clubsterben und die Verdrängung der Subkultur. Im Rahmen dieser Protestbewegung findet einmal im Jahr der „Demorave für Subkultur“ statt, eine von mehreren lokalen Kollektiven organisierte Großdemonstration, die einen nachhaltigen und sozialgerechten Wandel der Stadtpolitik fordert. Wir wollten mehr über den fragilen Zustand der Hamburger Szene erfahren und haben mit Alex Strauss vom DANS Kollektiv, einem der ausführenden Organe der Demo, gesprochen.

Hallo, Alex. Wir freuen uns, dich bei uns zu haben. Sprechen wir doch zunächst über euren Demorave vom vergangenen September. Wie lief es? 

Der Demorave für Open-Air-Strukturen und mehr Subkultur- und Clubvielfalt lief überwältigend. Wir hätten nicht gedacht, so viele Menschen auf die Straße bringen zu können. Es gab keine Sicherheitsvorfälle und der Vibe war wirklich großartig. Mein persönliches Highlight war, als mehrere Mitglieder der Roten Flora auf dem Dach der Flora standen und Feuerwerk und Bengalos zündeten, während wir die Straße entlangtanzten. Das war nicht wirklich abgesprochen mit der Flora, hat die Stimmung aber nochmal auf ein neues Level gehoben.

Derzeit steckt ihr mitten in der Planung eurer nächsten Großdemo. Wollt ihr diesmal etwas anders machen?

Ja, das wollen wir. Wir wollen insbesondere strukturierter vorgehen, damit sich niemand überarbeitet und wir mehr Unterstützung der anderen Communitys bekommen. Um unsere Kräfte bündeln und zusammen an einem Strang ziehen zu können, ist eine geordnete Struktur unerlässlich.

Das stellen wir uns in der Tat nicht gerade einfach vor bei so vielen Faktoren und Beteiligten. Magst du uns ein paar Einblicke in die Vorbereitung geben? Welche sind die größten Hürden? Was frisst am meisten Zeit?

Wir haben diesmal einen deutlich umfangreicheren Ansatz gewählt und den Demorave in drei Phasen unterteilt, um die Herausforderungen besser bewältigen zu können. Phase eins konzentriert sich auf das Finanzielle, da hier die größten Hürden liegen. Die Durchführung der Demo verschlingt viel Geld, insbesondere für die Miete von PA-Anlagen, Fahrzeugen und Generatoren. Während der ersten Phase werden sowohl wir als auch alle externen Kollektive und Kulturschaffende Clubnächte veranstalten, bei denen sämtliche Gewinne in unserem Spendentopf landen, der dann als Basis für die Investitionen dienen soll. In der zweiten Phase sollen dann regelmäßig kleinere Demoraves veranstaltet werden. Wir gehen davon aus, dass man mit wiederkehrenden Events am meisten Aufmerksamkeit erregen kann. Das ist genau das, wofür das Werkzeug „Demonstration“ gut ist: Öffentlichkeitsarbeit. Und dieses Werkzeug wollen wir möglichst effektiv nutzen. Anschließend geht es in die dritte und letzte Phase, in der die eigentlichen Vorbereitungen für die Großdemo im Sommer stattfinden. Den Großteil der Zeit während dieser Phase beanspruchen insbesondere zwei Punkte: die Vorbereitung der Demo-Route und die Koordination und Kommunikation mit den anderen Kollektiven. Viele von ihnen haben durch den fehlenden finanziellen Anreiz weniger Zeit, um ihre Teilnahme sorgfältig zu planen. Das erschwert es halbprofessionellen Kollektiven, sich aktiv in die Vorbereitungen einzubringen.

Du hast es bereits angeteasert: Im Kern demonstriert ihr für den Schutz und die Entfaltung der Club- und Subkultur. Gehen wir doch mal ein wenig ins Detail.

Es geht um das Clubsterben, strukturelle Missstände, die Verdrängung von Open-Airs und eine zunehmende Eintönigkeit der elektronischen Szene, ausgelöst durch den wachsenden Druck kommerzieller Trends. Nehmen wir einmal das Beispiel der Open-Airs, die seit der Corona-Pandemie immer weniger werden. Das kommt nicht von ungefähr, denn bei der Ausrichtung von Events im Freien gerät man als Veranstalter*in zusehends in eine Zwickmühle. Der legale, offizielle Weg ist sehr zeit- und kostenintensiv und stellt für die austragenden Kollektive oftmals ein finanzielles Risiko dar.

Der andere Weg ist der unangemeldete bzw. illegale Weg. Hier muss niemand zahlen und im Idealfall trifft sich eine Community, die die Regeln eines Open-Airs achtet: Mülltüten nutzen, im Anschluss gemeinsam aufräumen und gegenseitig auf sich Acht geben. Leider gehören die meisten ungenutzten Freiflächen der Hamburg Port Authority (HPA), die für das Management und die Verwaltung der Areale zuständig ist. Die zuständigen Ordnungshüter*innen drohen dann meist damit, die Polizei zu rufen, und die Party wird aufgelöst. An unglücklichen Tagen kommt sogar noch ein Bußgeld obendrauf. Dieses Risiko geht natürlich niemand gerne ein. Die Folge ist, dass die Open-Air-Szene immer weiter aus der Stadt gedrängt wird bzw. auf Locations ausweichen muss, die außerhalb des Stadtkerns liegen.

Wie sieht es mit den Clubs und anderen subkulturellen Räumen aus?

Ich kenne keine Metropole außer Hamburg, in der es möglich ist, alle Technoclubs an einer Hand abzuzählen. Es ist schön, dass Hamburg eine Stadt für Musicals und Großevents der Musik ist. Gleichzeitig wäre es aber noch schöner, wenn diese nicht in Konkurrenz mit subkulturellen Räumen stehen würden. Unsere Botschaft zielt darauf ab zu zeigen, dass die elektronische Szene in Hamburg lebendig ist und mehr Unterstützung und Flächen verdient. Zwecks mangelnder Entfaltungsmöglichkeiten müssen Kulturschaffende ungewollt die (kommerziellen) Trends verfolgen, wodurch eine enorme Eintönigkeit entsteht. Es wird wenig experimentiert und es gibt zu wenig Raum für Innovationen. Das macht sich vor allem in der Innenstadt bemerkbar, wo der Ausbau der nicht-kommerziellen Kultur quasi zum Erliegen gekommen ist. Immer mehr Läden schließen dauerhaft. Nicht-kommerzielle, niedrigschwellige Kulturangebote wären hier geeignet, um die Stadt wieder zu beleben. Das Jupiter, ein ehemaliges Karstadt-Sport-Gebäude, das inzwischen für freizugängliche Kunstausstellungen und Bar-Events genutzt wird, ist ein gutes Beispiel in die richtige Richtung.

Ein wesentlicher thematisierter Aspekt eurer vergangenen Demo war der Abriss der Sternbrücke in Altona, durch den gleich mehrere Clubs zum Jahreswechsel schließen mussten, darunter die beliebten Technoclubs Fundbureau und Waagenbau. Nachdem es lange Zeit so aussah, als würden die Clubs fortan ohne Heimat dastehen, berichteten Medien kürzlich, dass ein neues Zuhause für alle Beteiligten gefunden worden sei. Hast du hierzu Details? Kann man dem Braten trauen?

Mit dem Abriss stirbt auch ein pulsierendes Herzstück der Stadt. Ob es notwendig ist oder nicht, können wir nicht beurteilen. Jedoch beobachten wir, dass es einen Streit zwischen verschiedenen Parteien der Brücke gibt. Die Clubs, die Bewohner*innen, ehemalige Oberbaudirektoren der Brücke oder Anjes Tjarks, unser Senator für Verkehr und Mobilitätswende, waren sich uneinig, wie es mit der Brücke weiter gehen sollte. Den neuen Medienberichten kann man trauen. In den sozialen Medien schreiben die Clubs und die Betreiber*innen bereits, dass wir uns auf gute Nachrichten freuen können. Die Beat Boutique, das Fundbureau und die Bar 227 haben ihre Location sogar schon veröffentlicht. Es geht an die Kasematten der Deichtorhallen, ganz in der Nähe des Hauptbahnhofs. Der Ort ist also zentral gelegen und könnte zu einem neuen subkulturellen Ort wachsen. Das ist wirklich sehr schön zu sehen!

Dass die Stadt nun aktiv geworden ist, war sicher auch ein Verdienst eures unermüdlichen Einsatzes, oder? Seid ihr in der Zwischenzeit nochmal im direkten Dialog mit der Politik gewesen?

Es wäre schön, wenn die Stadt auch unseren Druck gespürt hätte, davon geht allerdings niemand aus. In erster Linie waren wohl die Clubbetreiber*innen von der Sternbrücke dafür verantwortlich. Die Verhandlungen ziehen sich ja schon länger als ein Jahr. Aber wer weiß, vielleicht konnten wir für einen kleinen Anstoß sorgen. Einen direkten Dialog mit der Stadt gab es nicht, dafür aber mit dem Clubkombinat, dem Bindeglied zwischen Szene und Politik. Die waren sehr lieb und haben uns neutrale Einblicke in die politischen Strukturen gegeben. Es ist nicht sehr gut um die Kulturszene Hamburgs bestellt. Es wird kaum Geld in den Bereich gesteckt, sodass die Entfaltung einer nachhaltigen Struktur kaum möglich ist.

Gab es dennoch einen Impact, den ihr mit eurer Demo erzielen konntet?

Auf jeden Fall! Wir haben viel Zuspruch bekommen. Viele Menschen haben sich proaktiv bei uns gemeldet, sich bedankt und ihre Hilfe angeboten. Da merkt man einfach, was für ein Potenzial diese Stadt hat. Das verschafft uns zusätzliche Energie für unsere nächsten Aktionen.

Während die Sternbrücken-Clubs also ein neues Zuhause gefunden haben, sieht es für das PAL derzeit noch weniger rosig aus. Das PAL ist ein weiterer beliebter Technoclub der Stadt, der zum Jahresende seine Pforten schloss. Die Clubbetreiber*innen gaben an, ihre Ursprungsidee eines idealen Clubs aus verschiedenen Gründen am jetzigen Ort nicht mehr umsetzen zu können. Was denkst du, was könnte damit gemeint sein?

Das kann ich leider nicht genau sagen. Es gab diverse Vorfälle wegen Ruhestörung, aber das kann wohl kaum der Grund für den geplanten Umzug bzw. Neustart des Clubs sein. Ganz Hamburg fragt sich momentan, was hinter den Kulissen des PALs abgeht und warum es so plötzlich passiert ist. Wenn man mit Menschen aus dem PAL-Kosmos redet, hört es sich aber so an, als sei man optimistisch hinsichtlich einer baldigen Alternative gestimmt. Alle PAL-Mitarbeitenden oder Artists, die ich kennengelernt habe, sind sehr liebe Seelen, und es wäre superschön, wenn sich der Vibe der Community an einem passenderen Ort noch besser entfalten könnte.

Werfen wir mal einen Blick auf den Status quo: Mit dem PAL, dem Fundbureau und dem Waagenbau fehlen Hamburg zumindest vorübergehend drei wichtige Club-Instanzen. Venues mit richtigem Underground-Flair gibt es dann nur noch sehr wenige, oder?

Das schmerzt schon sehr, ja. Allerdings stellt sich die Frage, was Underground überhaupt ist. Im PAL standen regelmäßig die Popstars des Technos auf den Line-ups und im Fundbureau und Waagenbau verschwamm die Community nach Corona mit vielen neuen Communitys, sodass deren Werte nicht vollständig ersichtlich waren. Das ist alles aber keine Kritik. Underground darf alles, solange die richtigen Werte vermittelt werden und nicht nur Mainstream-Musik gespielt wird. Darauf wurde in jedem dieser Orte geachtet, und die Venues, in denen dieser Spirit aufrechterhalten wird, sind nun rar gesät.

Die Fabrique im Gängeviertel ist beispielsweise so ein Ort. Hier gibt es viele Menschen, die regelmäßig auf die Entwicklung der Community sowie auch auf deren Werte achten und niemanden ausschließen wollen. Jede kulturschaffende Person ist hier willkommen, aktiv zu werden. Da ich selbst im Gängeviertel tätig bin, muss ich aber auch sagen, dass es einige negative Aspekte zu beobachten gibt. Viele Menschen brennen dort regelmäßig aus, das ist schon sehr schade zu sehen. Das liegt womöglich an den ehrenamtlichen Verantwortungsstrukturen, sodass einige wenige Menschen sehr viel Energie investieren, während andere das Viertel nutznießen. Ob dem wirklich so ist, kann ich nicht genau beurteilen, ich stelle den Gedanken aber mal in den Raum. Andererseits führt diese ehrenamtliche Basis dazu, dass Menschen einen leichten Zugang zu kulturellen Strukturen erlangen. Das fördert natürlich auch die Szene im Allgemeinen. Der Golden Pudel Club, Frappant, die Rote Flora, Südpol und ein paar Off-Locations sind auch auf jeden Fall Orte, die einen richtig schönen Underground-Flair haben.

Viele Leute hört man immer wieder vom Südpol schwärmen. Ist der Club das Maß aller Dinge im Hamburger Underground-Sektor? Philosophie und Türpolitik des Clubs sollen ja stark an Berlin angelehnt sein. Was hältst du davon?

Der Südpol ist schon ein sehr guter Club. Die Location ist, wenn ich mich nicht täusche, sogar der einzige Ort mit einem großen Außenbereich, das erinnert wohl am meisten an Berlin. Leider hält der Club die Türen verschlossen für Menschen, die nicht unmittelbar am Südpol beteiligt sind. Externe Veranstaltungen gibt es hier nicht, wodurch viele lokale Kollektive auf andere Clubs ausweichen müssen.

Hast du einen persönlichen Lieblingsclub in Hamburg?

Das Gängeviertel ist schon ein toller Ort. Wenn ich reinkomme und die stickige Luft, gemischt mit dem Siff der letzten Veranstaltung, rieche, hat das schon fast ein gewisses Zuhause-Gefühl, haha. Im Südpol ist es sehr schön im Sommer, da es oft auch mittags aufhat und man draußen feiern kann. Beide haben zudem ein Awareness-Team. Auch bei uns im DANS-Kollektiv haben wir das etabliert. Wir finden es sehr wichtig, dass Awareness ein selbstverständlicher Teil der Feierkultur wird. Das ist in Hamburg leider noch nicht der Fall.

Welche realistischen Ziele und Forderungen eurerseits können in nächster Zeit erfüllt werden? Was erscheint hingegen eher utopisch?

Leider bekommen die Verantwortlichen in der Politik, die wirklich etwas bewegen wollen, kaum finanzielle Mittel zur Förderung der Kultur bereitgestellt. Das muss sich ändern. Aktuell erscheint es mir deshalb noch utopisch, dass in naher Zukunft ein nicht-kommerzielles Kulturangebot in der Innenstadt etabliert wird. Da haben die großen Unternehmen einfach zu viel Macht und Einfluss.
Optimistisch bin ich hingegen beim Kampf um neue Open-Air-Freiflächen. Die Hamburg Port Authority (HPA) besitzt viele dieser Flächen, die weit von Wohngebieten entfernt sind und die sie selbst nicht nutzen kann. Da könnten sich bald neue Möglichkeiten auftun.

Gibt es neben der Großdemo noch weitere Projekte, die ihr durchführt? Vielleicht magst du uns abschließend eine kleine Übersicht über die Tätigkeiten des DANS-Kollektivs und die anstehenden Events geben?

Ja, der Demorave war ursprünglich eher eine Nebentätigkeit unseres Kollektivs, die nun immer mehr an Bedeutung gewinnt. Unser Main-Event ist die DANS-Kunstbar. Hier laden wir die Community auf zwei Ebenen dazu ein, sich künstlerisch zu entfalten, alles nach dem Zahl-was-es-dir-wert-ist-Prinzip. Häufig laden wir Tattoo-Artists, performative Artists und Producer*innen ein, damit sie ihre Kunst der Community vorstellen können. Parallel bieten wir die Möglichkeiten der Open Decks an und geben so lokalen DJs und Talenten eine Chance, sich zu präsentieren. Die Events sind mittlerweile ziemlich beliebt, sodass wir regelmäßig das Konzept umdenken müssen, damit alle mal drankommen. Neben einem Rave, der mittlerweile einmal im Monat bei uns stattfindet, starten wir gerade unser eigenes Label, auf dem wir Musik von befreundeten internationalen Artists wie DJ Swisherman oder Franklin S, sowie Kollektiv-internen Producer*innen veröffentlichen.

Am 20. Januar und 27. Januar veranstalten wir im Æden Berlin und im Gängeviertel in Hamburg unsere nächsten DANS-Soli-Nächte. Es folgen aber noch weitere Clubnächte in Berlin, Hamburg und Leipzig, um die volle Aufmerksamkeit auf die Missstände in Hamburg zu lenken.

Aus dem FAZEmag 143/01.2024
Text: M.T.
www.instagram.com/demorave.hamburg