Tascam Portacapture X8 – Techno-Fieldrecording

Die Serienproduktion einer gewissen Roland TB-303 wurde 1984 nach nur drei Jahren wieder gestoppt, weil niemand sie haben wollte. Das Gerät war entwickelt worden, um den Sound eines E-Basses zu imitieren und seine Rolle in einer Band zu übernehmen. Zeitgleich wollte auch niemand mehr etwas von den trommelnden Geschwistern TR-606 und TR-808 hören. Nicht zeitgleich, aber auch nur ein Jahr später entdeckte in Chicago ein gewisser DJ Pierre, dass sich eine 303 zwar nicht als Simulation des Echten eignet, aber viel besser als Blueprint einer Musik der Zukunft fungiert, indem man einige wenige Regler anders als vorgesehen benutzte. Herauskam nicht weniger als der Acid-Sound. Dieses Beispiel steht mehr als symbolisch dafür, wie Techno-Producer*innen auch heute noch die charmanten Eigenheiten und komplexen Schaltungen von Synthesizern, Samplern und allem dazwischen nutzen. Sie schaffen ein synthetisches neues Sound-Universum und arbeiten immer weiter an den Grenzen des Möglichen. Was aber auch stimmt: Wir erstellen unsere musikalischen Ideen mit Maschinen, die Menschen erdacht haben, und bearbeiten diese mit Maschinen, die Menschen erdacht haben – meistens begegnet sich der Mensch hier eben nur selbst. Eine andere Herangehensweise ist die Arbeit mit Fieldrecordings – hier gehen wir mit offenen Ohren durch unsere Umgebung und bringen Klänge ins Studio mit, die einerseits ganz unvorhergesehen erfrischend sind und andererseits unsere persönliche akustische Umgebung ins Zentrum eines Tracks rücken. Eines der absoluten Tools ist aktuell der Portacapture X8 von Tascam.

Mehr als zwei Wochen war ich mit ihm unterwegs – einerseits in industriellen Ruhrpott-Ruinen voller Metallschrott, mit tiefen Bunkern und Haufen voller alter Werkzeuge. Andererseits im verschneiten Südtirol mit seinen glucksenden Gletscherbächen, seiner durch die Berge schallenden Tierwelt und natürlich einer beeindruckend wuseligen Klangcollage aus Skiern, Schneeschuhen und Rodeln weiter unten im Tal. Um mobil und schnell in hoher Qualität aufzunehmen, braucht man einen Handheld-Recorder. Der Portacapture X8 ist derzeit eines der Vorzeige-Handheld-Recorder, nicht zuletzt, weil sein Workflow ein paar Sachen anders macht als seine direkte Konkurrenz. Der Workflow wird stark von dem großen Touchscreen bestimmt – man hat fast das Gefühl, ein Smartphone vor sich zu haben. Auch in der Mittagssonne sieht man übrigens noch alles, was bei vielen älteren Fieldrecordern nicht selbstverständlich war. Am Touchscreen macht es einfach Sinn, blitzschnell durch die Menüs zu gleiten und vor allen auf modernen digitalen Displays genaue Pegelanzeigen zu haben anstatt der gewohnten LED-Anzeigen in der Hardware.

Aber auch die Hardware hat einiges zu bieten – zum einen die internen Mikrofone. Denn hier heißt es oft: „Die besten Mikrofone sind die, die man dabei hat.” Wenn man ein interessantes Klangobjekt vor der Nase hat, ist manchmal keine Zeit, aufwendige Mikrofon-Anordnungen aufzubauen. Die Qualität der internen Mikrofone ist eine der besten, die ich jemals in Handheld-Recordern gehört habe. Was man aber auch sagen muss, ist, dass ihr euch unbedingt einen kleinen Windschutz dazu besorgen solltet, weil die Kapseln schon auf kleinste Luftzüge sehr empfindlich reagieren. Neben den internen kann man vier weitere externe Mikrofone anschließen – zum Glück benutzt Tascam hier Kombibuchsen sodass man sowohl XLR-Kabel für hochwertige Kondensator-Mikrofone als auch Klinkenkabel anschließen kann, die oft mit Kontaktmikrofonen und natürlich allen möglichen Instrumenten zusammenkommen. Damit kann man schon kleinere Surround-Aufnahmen oder eben verschiedene Mikrofonierungen desselben Klangobjekts realisieren.

Eine Eigenheit im Workflow des Recorders ist das Arbeiten mit speziellen Apps für bestimmte Aufnahmesituationen. Wie in gewohnten Recordern gibt es einen manuellen Modus, in dem man jede Einstellung detailliert treffen kann. In den Modi ASMR, Stimme, Feld, Musik und Podcasts fasst Tascam die wichtigen Parameter in einer angepassten Oberfläche für den geneigten Nutzer zusammen. Das wichtigste Feature und für viele natürlich das Kaufargument ist die 32-Bit-Technik, mit der man nie wieder übersteuert – oder aber zu leise aufnimmt. Damit ist die häufigste Ursache für technisch schlechte Recordings behoben: 32 Bit bedeutet, dass sogar das lauteste Geräusch auf Erden damit aufgenommen werden könnte, ohne das digitale System des Recorders zu übersteuern. Und leise Geräusche können später in der DAW noch lauter gemacht werden, ohne dass man nur noch Rauschen hört. Bei Fieldrecordings seid ihr nun also ganz entspannt, wenn unvorhergesehene Dinge geschehen, für die ihr eigentlich neu einpendeln müsstet. 32-Bit bedeuten jedoch auch, dass ihr eine SD-Karte mit genügend Speicherplatz einplanen solltet, denn die Dateien sind im Vergleich zu 24-Bit um 33 Prozent größer.

Bevor es mit den Aufnahme-Tipps losgeht, noch ein kurzer Workflow-Hack: Macht es euch beim Übertragen eurer Recordings auf den Computer einfach und schließt den X8 einfach per USB an, anstatt Micro-SD in einen SD-Adapter zu stecken, um diesen dann in den SD-Slot eures Computers zu stecken. Viel schneller, gelle?

01 Nutzt die hohe Sample-Rate des Portacapture X8

Wenn wir unsere Fieldrecordings in Techno-Tracks einbauen wollen, machen wir das in vielen Fällen nicht ohne Bearbeitung. Eine der häufigsten Bearbeitungen ist das Pitchen. Wenn wir das machen wollen, lohnt es sich sehr, dass der Portacapture X8 auch mit 192 kHz aufnehmen kann. Denn wenn man nun z.B. eine Tierstimme sehr weit nach unten transponiert, gibt es immer noch klare hohe Frequenzen aus dem Bereich, der ungepitcht zwar für Menschen unhörbar ist, so jedoch ins hörbare Spektrum gezogen wird.

02 Haltet Abstand zu derben Bässen

Oft beeindrucken uns industrielle Geräusche, die wir in unserer Umwelt hören. Um möglichst klare Aufnahmen zu haben, gehen unerfahrenere Nutzer*innen oft sehr nah an die Klangobjekte. Im Studio muss man dann oft feststellen, dass die Aufnahmen oft viel zu dünn klingen und nur starke Transienten haben. Wenn ihr den Bass so aufnehmen wollt, wir ihr ihn hört, braucht es einen Abstand von wenigen Metern, damit sich die unteren Frequenzen mit ihren langen Wellenlängen entfalten können.

03 Nutzt Tascams Portacapture-Control-Remote-App

Gerade bei der Reise durch Südtirol ist mir wieder aufgefallen, wie wichtig ist es, dass man die Aufnahme auch etwas entfernt vom Mikrofon steuern kann: Erstens nähern sich Tiere dem Mikrofon nur, wenn niemand in der direkten Nähe ist, und auch Menschen verhalten sich ganz anders, wenn sie jemanden am Mikrofon bemerken. Aber vor allem ist es der Fakt, dass tolle Aufnahmen schon sehr oft ruiniert wurden, wenn jemand zufällig Vorbeigehendes fragt: „Sie machen gerade eine Aufnahme hier, oder? Finde ich ja total interessant, wie funktioniert das denn?“

04 Macht lange Takes

Bei langen Takes könnt ihr euch später die wahren Perlen herauspicken. Und deutlich authentischere Ergebnisse beim Layern entwickeln: In den Bergen tropften einzelne Tropfen im Tauwetter von einem Baum in eine Pfütze. Da ich das Platschen mehrere Minuten lang aufgenommen habe, kann ich nun mühelos einen Regenschauer daraus bauen, ohne dass man immer das gleiche Sample hört. Auf Techno bezogen: Es gibt nun genügend interessante Snare-Layer für einen ganzen Track. In einer ansonsten drückend-synthetischen Produktion bringt so etwas oft den Unterschied zu einer besonderen Klangfarbe. Während der langen Takes könnt ihr in der Portacapture-Control-App aufschreiben, was in der Aufnahme passiert und euch somit beim Archivieren viel Zeit sparen.

05 Mit Overdub zum Groove

In den alten Industriehallen im Ruhrgebiet gab es viele Rohre, Tanks oder Zäune aus Metall – wie gemacht für düster-rohe Techno-Sequenzen. Aber anstatt hier einzelne Schläge mit Drumsticks, Händen oder anderen Metallobjekten aufzunehmen und diese dann erst am Computer zu Grooves umzugestalten, kann man das auch charakteristischer angehen: Mit der Overdub-Funktion im Portacapture X8 und jemandem mit Taktgefühl vor Ort kann man den Rhythmus auch direkt vor Ort eintrommeln – und bekommt dabei viel spannendere Ergebnisse. Per Overdub kann man dann auch noch weitere Layer hinzufügen und einen komplexen Groove aus Alltagsobjekten erstellen. Als Inspiration dafür kann man in das neue Album des Producers Julian Sartorius reinhören.

Aus dem FAZEmag 146/04.2024
www.tascam.eu/de/