ANII – Auf einer Mission

Credit: Laura BC

Nachdem sie ihre Heimat Polen Ende der 2000er-Jahre verlassen hat, nahm die Karriere von Ania Iwinska aka ANII unglaublich an Fahrt auf. Ihre Mission, tiefer in die Materie der elektronischen Szene einzutauchen und das Musikproduzieren zu erlernen, setzte sie mehr als gründlich um – sie ist mittlerweile Resident in der Fabric in London, besuchte mit Point Blank eine der renommiertesten Musikschulen UKs und ihre Diskografie listet glorreiche Labels wie Afterlife, Kompakt und Anjadeep auf. Mit ANIITIME führt die charismatische Blondine auch ihr eigenes Imprint. In diesem Monat mixt die mittlerweile in Lissabon residierende Künstlerin den ersten FAZEmag-Download-Mix des neuen Jahres und präsentiert dabei zahlreiches unveröffentlichtes Material.

Anii, wie bist du zur Musik gekommen?

Es fing im Prinzip alles mit meinem Vater und seiner Kassettensammlung an. Ich war besessen von der gesamten Kollektion und tanzte wie eine Verrückte zu all den Songs. Mein Vater ist auch ein großer Musikfanatiker. Als ich ungefähr 14 Jahre alt war, habe ich elektronische Musik entdeckt. Mein erstes Tape war von Mouse on Mars, das werde ich nie vergessen.

Mit 16 Jahren warst du in Budgoszcz, Polen, und ein paar Jahre später hast du dich für London entschieden – was waren die Hauptgründe dafür?

Als Teenager passte ich nie wirklich irgendwohin. Ich hatte und habe einen verrückten, offenen und sehr kreativen Geist. Ich weiß, das hört sich jetzt komisch an, aber ich wollte immer mehr als nur einen Ehemann finden und in einem Bürojob arbeiten. Als ich im Alter von 16 Jahren mit dem Auflegen anfing, träumte ich davon zu lernen, wie man Musik auch produziert. Zu dieser Zeit gab es Musikschulen allerdings nur in Holland, USA und UK. England klang wie die beste Option, und ich entschied mich, mein Leben in Polen an den Nagel zu hängen und ein neues zu beginnen. Und ich bin sehr froh, diesen Schritt gegangen zu sein.

London entpuppte sich wie eine Art Turbo-Antrieb für dich und deine Karriere, erzähle uns von deiner Zeit dort.

Haha, eher wie ein Turbo-Chaos! Anfangs hatte ich unglaublich viele Probleme. Ich war schlichtweg jung und naiv. Trotzdem bereue ich nicht eine Minute meiner Zeit in London. Man sagt ja, dass man aus Fehlern lernt, und genau davon bin ich felsenfest überzeugt. London hat mich definitiv gelehrt, wie man sein eigenes Leben lebt und als Künstler überlebt. Am Anfang habe ich auf irgendwelchen privaten Partys gespielt und in meinem WG-Zimmer mit meiner Mitbewohnerin viele Afterhours veranstaltet. Irgendwann fing ich an, in Londoner Schwulenclubs aufzulegen, und das war superlustig. Als ich mein Englisch dann auf ein halbwegs ansehnliches Level gebracht hatte, fokussierte ich mich auf meine eigenen Produktionen und begann, an der Point Blanc Schule, Ableton-Musikproduktion und Sound-Engineering zu studieren. Ich war hin und weg von der gesamten Materie. Ich verbringe nach wie vor mehr Zeit mit eigenen Projekten als mit der Suche nach neuer Musik für meine DJ-Gigs, weil mir das Produzieren so viel Spaß macht. Man könnte die Point Blanc durchaus als Startschuss für meine Karriere ansehen. Am Anfang habe ich House produziert, aber ich passte nicht wirklich in das Genre. Ich habe mich langsam in Richtung Techno bewegt und im Januar 2016 habe ich das Projekt ANII gegründet. Ein Jahr später ist mein erstes Release auf Kompakt erschienen, ein großartiger Start!

Du bist quasi Resident im legendären Fabric. Was macht den Club für dich aus?

Ein wahrlich magischer Ort, ja. Einer der wohl berühmt-berüchtigtsten Clubs der Welt und eines der wichtigsten Elemente der Londoner Kultur. Ich bin nur wenige Tage nach meinem Umzug nach London hin und war seitdem schwer beeindruckt von der Qualität des Sounds und natürlich vom Bassfloor. So etwas hatte ich bis dato noch nie erlebt. Der Floor heißt „Bodysonic“ und besteht aus 450 Bass-Schallwandlern, die Bassfrequenzen ausstrahlen, sodass die Clubbesucher*innen die Musik spüren können. Das Angebot, dort zu spielen, und dann auch noch so häufig, ist eine absolute Ehre. Auch das Monitoring in der DJ-Booth auf dem Mainfloor ist schier unglaublich und nicht von dieser Welt. Es ist jedes Mal ein pures Vergnügen, dort zu spielen.

Mittlerweile bist du in Lissabon ansässig.

Oh, mein Gott, ja. Und es ist so unfassbar schön hier! Mein Umzug glich eher einer Art Kriegsflucht. Ich beschloss im Dezember umzuziehen, als London kurz vor dem Brexit komplett abgeriegelt war. Ich habe versucht, in letzter Minute aus dem Land zu flüchten, allerdings wurden alle Flüge nach Portugal für nicht in Portugal lebende Personen ausgesetzt. Nachdem man mir verweigert hatte, einen Flug trotz Passierschein der Botschaft zu boarden, musste ich einen anderen Weg finden. Ich reiste schließlich per Auto mit einem Tier-Kurier, den ich im Internet kennenlernte, mit meinen Katzen in der Nacht vom 30. auf den 31. Dezember von London nach Amsterdam, von wo aus ich einen Flug nach Lissabon nehmen konnte. Ich kam in Lissabon am Silvesterabend an – zunächst ohne Gepäck, weil die Airline es vermasselt hatte. Trotzdem war der Umzug nach Lissabon die beste Entscheidung meines Lebens.

Wie würdest du die größten Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten zwischen Lissabon, London und deiner Heimat in Polen beschreiben?

Schwer zu sagen, diese Orte sind so unglaublich unterschiedlich. London ist eine verrückte Stadt, in der jeder und alles immer in Eile ist. Aber zeitgleich ist die Stadt voller Träume und Möglichkeiten, voller fantastischer Menschen und einem tollen Nachtleben. Aber es regnet einfach unglaublich oft. In Polen habe ich ja quasi nur gelebt, als ich noch sehr jung war, aber seitdem hat sich sehr viel verändert. Ich genieße jeden Moment, wenn ich dort bin, vielleicht weil ich die Gegend dort mittlerweile mit anderen Augen sehe. Polen kann unfassbar kalt sein, deshalb trinken wir wohl so viel Wodka. Portugal im Allgemeinen und Lissabon fühlen sich für mich nach wie vor unglaublich an. Hier gibt es die schönsten Sonnenauf- bzw. und Untergänge, die ich je gesehen habe. Das Leben hier ist so viel entspannter, niemand ist hier jemals in Eile. Ich liebe es. Und natürlich das Wetter. Es ist Ende Dezember und es sind 18 Grad – wie sollte ich das hier nicht lieben? (lacht)

Ein Wochenende in Lissabon – was sind deine absoluten Empfehlungen?

Es gibt hier so vieles, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Ich würde mit einem Spaziergang im Stadtzentrum beginnen und einen Kaffee oder ein leckeres Frühstück in der Sonne genießen. Es gibt nichts Besseres, als sich in den kleinen, bunten Gassen von Lissabon umzusehen und gar zu verlieren, um kurze Zeit später an einem bekannten Ort rauszukommen. Sintra, ungefähr 40 Minuten von Lissabon, ist aber mindestens genauso schön – wunderschöne Parks in den Hügeln und wahnsinnige Sightseeing-Sachen. Zum Ausgehen bietet Lissabon eine Vielzahl an Clubs, darunter das berühmte Lux. Am Sonntag würde ich die Brücke überqueren und das Meer besuchen. Mein Lieblingsstrand ist Fonte da Telha, wo ich mit Freunden im „Retiro do Pescador“ esse, meinem Lieblings-Fischrestaurant.

Spätestens montags sitzt du aber wieder im Studio, deinem Lieblingsort. Wie kann man sich deinen Workflow vorstellen?

In der Tat, meine ganze Welt sind mein Studio und meine zwei Katzen. Ich kann mir nicht vorstellen, ohne auch nur eines von beidem zu leben. Ich arbeite gerne am frühen Morgen, wenn mein Kopf und damit die Ideen noch frisch sind. Aber um ehrlich zu sein, habe ich nie einen konkreten Plan für meine Musik. Ich versuche, mit dem Fluss zu gehen und wenn es mir nicht gefällt, versuche ich etwas anderes zu machen und komme wieder darauf zurück.

Was beeinflusst dich am meisten und was sind deine Routinen, wenn die Inspiration fehlt?

Ich denke, dass meine Stimmung eindeutig meine Musik bestimmt. Ich bin ein sehr emotionaler Mensch, und wenn ich traurig bin, kann man sehen, wie meine Musik in dunkle Bereiche abdriftet. Ich habe keine Routinen, wenn die Inspiration einsetzt. Das einzige, das ich versuche, nicht zu tun, ist, es zu forcieren. Wenn es einfach nicht passiert, die Magie, muss ich eine Pause machen, mich ablenken und z.B. trainieren oder spazieren gehen. So werden die Ohren recht schnell wieder frisch.

Was sind deine favorisierten Tools in Sachen Soft- als auch Hardware?

Alles, was ich im Studio benutze, ist für mich etwas ganz Besonderes. Dennoch ist der OB-6 mein Lieblingssynthesizer. Ich benutze ihn auf fast allen Tracks. In Sachen Software benutze sehr oft Arturia Waves und natürlich USD VSTs, dort habe ich aber keinen wirklichen Favoriten.

Wie viel Input aus deiner Zeit bei Point Blank nutzt du noch heute?

Point Blank war definitiv eine große Hilfe in meiner Karriere, die sämtliche Grundlagen gelegt hat. Entwicklung und damit Veränderung findet bei mir aber wirklich täglich statt und es ist seitdem wirklich sehr viel passiert – auch innerhalb der Technologie. Ich denke, um ein guter Produzent oder Produzentin zu sein, muss man manchmal der Wahrheit ins Auge sehen, dass man haufenweise Zeit vor dem Computer verbringt, um Sounds und Patterns zu drehen und auszuprobieren.

Du hast bereits auf großartigen Labels wie Afterlife, Kompakt und Anjunadeep veröffentlicht. Was sind deine Pläne für das nächste Jahr?

2022 wird eine Menge veröffentlicht. Ich denke, was ich schon verraten kann, ist mein Remix für Stephan Bodzin und sein großartiges Album, das er vor ein paar Wochen veröffentlicht hat. Es war so toll, diese Gelegenheit zu haben. Noch in diesem Monat wird ein weiteres Release auf ANNIITIME erscheinen. Den Rest muss ich aktuell noch für mich behalten, ihr wisst, wie der Hase läuft.

Diesen Monat zeichnest du für den offiziellen FAZEmag-Download-Mix verantwortlich. Was dürfen wir erwarten?

Ich habe schon lange keinen Mix mehr aufgenommen, also werdet ihr eine Menge unveröffentlichtes Material hören, das ich 2022 veröffentlichen werde.

Mix

Aus dem FAZEmag 119/01.22
Text: Triple P
Credit: Laura BC
instagram.com/anii__ofc