DEICHBRAND Festival 2020 – ein Interview mit Lilly Palmer

Um ein Festival für 60.000 Besucher auf die Beine zu stellen, bedarf es einer perfekten Organisation, einer ausgefeilten Kalkulation und einer reibungslosen und einwandfreien Durchführung. Von der Planung über die Umsetzung bis hin zur letzten Schraube, die aus den Traversenkonstruktionen beim Abbau zurück in die Schachtel gelegt wird – bei einer Open-Air-Veranstaltung wie dem DEICHBRAND arbeiten viele Gewerke Hand in Hand. Die Manpower: eine Zahl im mittleren vierstelligen Bereich. Angefangen beim jungen Praktikanten, der ins Event-Business hinein schnuppert, weiter über die langjährig erfahrenen Lichttechniker und Sound Engineers, die in akribischer Sisyphusarbeit bereits Monate zuvor mit den ersten Visuals und Renderings am PC starten. Thekenpersonal, Pressemitarbeiter, Parkeinweiser, Pyrotechniker und – ganz wichtiges Thema! – Security. Denn getreu der Devise „Safety first” steht gerade in der heutigen Zeit die Sicherheit der Festivalbesucher ganz oben auf der To-Do-Liste der Veranstalter. Die wird garantiert durch eine enge Kooperation mit Polizei, Feuerwehr und öffentlichen Institutionen. Pressemitarbeiter sind ebenfalls vor Ort. Zudem Getränkelieferanten, Elektriker und Reinigungspersonal. Und nebst den externen Mitarbeitern ist natürlich auch die DEICHBRAND-Crew vor Ort, die Jahr für Jahr – und das ganze Jahr – das Mega-Event vorbereitet, zu dem vom 16. bis 19. Juli 2020 erneut mehr als 100 Bands, Acts, DJs und Artists kommen werden. DJs und Artists – ein gutes Stichwort. Denn was wäre ein Festival ohne sie? Rhetorische Frage. Eine, die auf der 16. Ausgabe des DEICHBRAND ihr Debüt feiern wird, ist eine Dame, deren Name irgendwie niedlich und zugleich karibisch klingt: Lilly Palmer. Wir haben sie Mitte Februar zum Interview gebeten.

Deine Roots hast du in der Schweiz. Heute lebst du allerdings in Amsterdam. Seit wann und was war der Grund für den Umzug?

Also, eigentlich habe ich ja meine „echten“ Roots in Deutschland. Ich bin bei Nürnberg geboren, habe dann viele Jahre in Zürich gelebt und seit Ende 2017 wohne ich nun in einer kleinen Küstenstadt in der Nähe von Amsterdam, da ich zu dort meinen Freund gezogen bin.

Beim DEICHBRAND feierst du in 2020 deinen Einstand. Wie fühlt es sich an, im Line-up neben Namen wie Sven Väth und Oliver Huntemann zu stehen?

Es fühlt sich auf jeden Fall sehr aufregend an und man ist auch schon ein bisschen stolz, wenn man seinen Namen auf solchen Line-ups liest. Dazu kommt dann noch, dass es auch etwas Besonderes ist, auf einem so großen Festival zusammen mit den Techno-Legenden seiner Jugend aufzulegen, wie Oliver Huntemann.

Apropos Oliver Huntemann: Zu ihm hast du eine ganz besondere „Beziehung”. Welche?

Letztes Jahr im Sommer hatte ich meine erste Show zusammen mit Oliver in Hamburgs legendärem Club „Südpol“ für einen seiner „Senso Sounds Showcases“. Ich spielte dort ein Drei-Stunden-Set vor ihm und war zu Beginn echt ziemlich nervös, da Oliver natürlich auch zu einer meiner Techno-Legenden aus der Jugend gehört und ich unbedingt ein tolles Set abliefern wollte. Ich glaube, er fand es dann wohl ganz gut. (lacht) Denn danach ging es eigentlich ziemlich schnell: Ich wurde nicht nur auf seinem Label gesignt, sondern auch von seiner Booking Agentur Kontrast Artists unter Vertrag genommen. Somit ist Oliver ein sehr wichtiger Teil meines Erfolges, denn durch seinen Support haben sich natürlich auch viele andere Türen für mich geöffnet.

Das DEICHBRAND ist eins der größten Festivals Deutschlands. Wie gehst du persönlich an so eine Show vor vielen Menschen ran? Hast du ein Konzept, was dein Set angeht?

So ein Auftritt vor so vielen Menschen auf einem dieser großen Festivals fühlt sich für den Artist und auch für das Publikum im Vergleich zu einem Gig in einem kleinen, intimen Club ganz anders an. Die Set-Times sind meist viel kürzer und man hat nicht so viel Zeit, um zu zeigen, was man kann. Daher ist es mir wichtig, einerseits 100 Prozent meiner Energie zu geben und das Publikum auch in kurzer Zeit mitzureißen. Und auf der anderen Seite kommt es natürlich auch immer darauf an, wo, wann und in welcher Location man auflegt. Ich spiele einen anderen Sound, wenn ich wie z. B. in Vietnam beim epizode Festival zur aufgehenden Sonne spiele als bei einem Peaktime-Set in Tel Aviv beim Shalvata um Mitternacht. Viele denken bei mir meistens an harte Techno-Sets, jedoch liebe ich es auch, sehr melodiöse und deepe Tracks zu spielen. Gerade in orientalischen Ländern fühle ich, dass das dort einfach oft besser zu meinem und dem Vibe des Publikums passt. Ich bin zwar schon immer eine Perfektionistin, beschäftige mich sehr viel mit meinen Tracks und will wissen, was gut zusammen passt, aber im Endeffekt vertraue ich dann auf mein Bauchgefühl und entscheide in dem Moment, was ich spielen werde.

Die „Electronic Selection” auf dem DEICHBRAND wächst Jahr für Jahr. Allerdings spielen auf dem Festival auch noch Acts aus anderen Musiksparten: wie Beatsteaks, Sido, Clueso, Passenger und Guano Apes. Welchen Act im Gesamt-Line-up wirst du dir privat auf jeden Fall anhören und welche Musik läuft bei dir zuhause so?

Bei mir zu Hause läuft eigentlich hauptsächlich Chill-out und Deep House. Ich werde mir auf jeden Fall die Guano Apes anhören. Ich war früher ein großer Fan von Rock und Metal, habe selbst mal E-Gitarre gespielt und bin oft auf entsprechenden Rock-Festivals unterwegs gewesen. (lacht) Dann zur deutschen Rap- und Hip-Hop-Szene, die auf dem Deichbrand ebenfalls vertreten ist: es ist zwar überhaupt nicht mein Ding, jedoch finde ich es faszinierend, wie viele der momentan angesagten Künstler – wie zum Beispiel Apache oder Juju – es auch ganz ohne große Plattenfirma schaffen, derart erfolgreich zu sein. Sie beherrschen ihr eigenes Marketing in Perfektion, vor allem auf Instagram und YouTube, wo sie eine große Dominanz erreicht haben. Also musikalisch nicht mein Ding, aber vielleicht tue ich mir es ja an, und schaue mir mal Apache für fünf Minuten an. (lacht)

Das Jahr 2020 ist noch jung. Wie sind deine Pläne in Bezug auf das DJing und Producing?

Ich möchte ganz klar in der Zusammenarbeit im Studio mit den entsprechenden Produzenten meine eigenen Skills verbessern und nicht nur daneben sitzen. Das ist eines meiner Hauptziele, und es klappt immer besser. Angefangen vom Verständnis über die verschiedenen Elemente, die zu einer Produktion gehören, bis hin zum technischen Prozess – was jetzt schon dazu führt, dass ich im Studio auch zielorientiert kommunizieren kann, um das auszudrücken, was ich mir in einem meiner Tracks wünsche. Und man kann mich jetzt auch schon mal ein bis zwei Stunden alleine lassen und ich fange an, Ideen umzusetzen. Ich denke, in diesem Jahr wird es weitere große Fortschritte geben. Dann gibt es ganz klar ein bis drei Labels, auf denen ich mir Releases wünsche. Bei einem hat es jetzt geklappt, und bei den anderen beiden bin ich zuversichtlich, dass es ebenfalls klappen wird. Dann wünsche ich mir für ausgewählte Auftritte auch eine individualisierte, visuelle Umsetzung, und wir planen gerade, wie wir das realisieren können. And last but not least: Ich habe mir erst kürzlich zwei alte 1210er und ein Mischpult besorgt, und dazu ein sehr gutes Vinyl-Setting zusammengestellt, was irgendwann mal das Licht der Öffentlichkeit erblicken möchte.

Lass uns kurz mal in die Vergangenheit gehen: Was hat dich dazu bewogen, DJ zu werden? Gab es ein bestimmtes Erlebnis?

Für mich war und ist Musik immer schon ein Ventil gewesen, um abzuschalten, große Freude beim Tanzen zu empfinden, aber auch, um Frustration auszudrücken und loszuwerden, und letztendlich auch, um die wahrhaft nicht immer schönsten Erlebnisse in meinem Leben entsprechend zu verarbeiten und loszulassen. Ich war schon mit 16 in Nürnbergs Techno-Clubs unterwegs und habe gleichzeitig angefangen, harten Rock zu hören. Ich bin dann bei Techno hängen geblieben, weil es meine Gefühlswelt in seinen ganzen Nuancen am besten widerspiegelte und -spiegelt. Bei Wut ganz klar den harten Techno, und wenn ich traurig oder melancholisch war, liebte ich auch die wundervollen emotionalen Sounds, mit wahnsinnig tollen Melodien und Build-ups. Ganz klar konnte die Frage, was ich machen kann, um selbst diese Emotionen zu kreieren, nicht lange auf sich warten lassen, und daraus entstand dann letztendlich auch der Wunsch und Plan, DJ zu werden. Ich habe mich dann regelrecht in die Szene und die Musik reingestürzt und alles aufgesogen, was es an Musik, DJs, Produzenten, Clubs, Festivals und Magazinen gab. Dazu hatte ich dann auch die tolle Unterstützung sehr guter Freunde, die mir am Anfang den Mut gemacht haben, es zu versuchen, und mir geholfen haben, meinen Weg zu gehen. Verbleibe dort, woran dein Herz hängt und alles andere wird sich fügen. Und das hat es auch. Ich bin sozusagen all-in gegangen, und das war die beste Entscheidung, die ich in meinem Leben je getroffen habe. Es gab jedoch nicht „das eine Erlebnis”. Wenn dann war es so, dass ich recht früh meinen Manager bei einem Auftritt kennengelernt habe, der all das in mir gesehen haben musste, als ich ihm von meinem Traum erzählte, da er sofort begann an mich zu glauben.

Zurück in die Zukunft, in die Zeit der sozialen Medien. Wie wichtig sind für dich Facebook, Twitter & Co, um mit deinen Fans zu kommunizieren?

Also Twitter benutze ich gar nicht, das ist irgendwie komplett an mir vorbeigegangen, aber Facebook und vor allem Instagram sind für mich und meine Karriere sehr wichtig. Bei Snapchat und TikTok bin ich jedoch raus, dafür fühle ich mich doch schon zu alt. (lacht) Mein großer Vorteil bei Social Media: Ich habe persönlich Spaß daran! Ich weiß, dass viele Menschen sehr negativ gegenüber Social Media eingestellt sind und / oder auch Probleme damit haben, wie z. B. „zu lange online sein“, „sich ständig mit anderen vergleichen“ oder „Mobbing- und Hate-Kommentare von anderen“. Das sind definitiv Punkte, die schwierig sein können, und man sollte sie auch nicht ignorieren. Viele DJs, die ich kenne, mögen Social Media nicht und sind vor allem über den Druck, mithalten zu müssen, genervt und wollen nicht jeden zweiten Tag irgendetwas posten, was dann eventuell gar keinen tollen Inhalt hat oder womöglich kaum jemanden interessiert. Das kann ich auf jeden Fall gut verstehen, es muss einem schon liegen, sonst kommt es auch nicht authentisch rüber. Für mich überwiegen aber auf jeden Fall die Vorteile, ich habe direkten Kontakt zu meinen Fans, kann meine Musik und meine Karriere pushen und habe auch zu tollen Kollegen Kontakt bekommen – sogar Plattendeals eingefädelt! Aber ganz ehrlich, dass Größte ist, dass ich meinen Freund, einer der für mich besten Techno-Produzenten, über IG kennengelernt habe. Der anfängliche Hype, den ich ca. vor anderthalb Jahren speziell durch die Videos meiner Auftritte auf IG hatte, hat dann immer wieder zu einem größeren Hype auf IG geführt, und das hat natürlich meiner Bekanntheit geholfen. Ich habe aber auch eine klare Regel: Wenn ich etwas poste, dann bin ich 30 Minuten online, um Kommentare zu beantworten, danach wird das Handy weggelegt und wieder etwas anderes gemacht. So komme ich damit super klar und bin gespannt, wie sich Social Media noch weiterentwickeln wird.

Verrate uns doch bitte noch deine aktuelle Top-5:

Deas – DRMS (Second State)
Egbert – Rush (Octopus Recordings)
Michael Klein – Bite (Second State)
Lorn – Blink (Symphonic Distribution)
Patrice Bäumel – Receiver (Afterlife)

Kurz und knapp:

Meine erste selbst gekaufte Platte war … The Subs – „Fuck That Shit“
Meinen ersten bezahlten Gig hatte ich … La Divina Afterhours, London, 03.06.2016
Meine musikalischen Vorbilder sind … Giovanni Carozza, Egbert, Dave Clarke, Marino Canal
Mit ihm / ihr möchte ich gerne mal einen Track gemeinsam produzieren … Fraz.ier, Claas Hermann, Michael Klein
Mit ihm / ihr würde ich gerne mal ein b2b-Set beim DEICHBRAND spielen … Deas

Danke fürs Interview, Lilly.

 

DEICHBRAND Festival // Foto: Frank Embacher

Hier für euch noch, liebe FAZEmag-Leser – ein Line-up-Auszug:
Line-up: Sven Väth, Oliver Huntemann, Lilly Palmer, Anahit Vardanyan, Steve Aoki, Drunken Masters,
Beatsteaks, Nightwish, Sido, Flogging Molly, Clueso, Bosse, Bilderbuch, Capital Bra, Trettmann, Bausa, Milky Chance, 257ers, Passenger, Maximo Park, Querbeat, Guano Apes, H-Blockx, Muff Potter, Afrob, Tonbandgerät u. v. m.

www.deichbrand.de

DEICHBRAND Festival // 16.-19.07.2020 // Seeflughafen, Cuxhaven/Nordholz

Das könnte dich auch interessieren – das DEICHBRAND-Special:
DEICHBRAND Festival 2020 – ein Interview mit Shootingstar Anahit Vardanyan
DEICHBRAND Festival 2019 – die besten Techno-Acts im hohen Norden
DEICHBRAND Festival 2019 – The Chemical Brothers und Charlotte de Witte