Es war mein erstes Jahr in Novi Sad beim sagenumwobenen EXIT Festival. Die Temperaturen waren hart – 40 Grad in der Spitze – und der Weg zur Festung ebenfalls. Aber all das hat sich gelohnt für eine absolute besondere Location, die ich so noch nicht im Rahmen eines ‚Raves‘ erleben durfte. Ab 19:00 Uhr begaben sich die Gäste (über 250.000 insgesamt am Wochenende) über die Donau-Brücke zum Event und erklommen zusammen mit uns den Weg zur Festung. Die Einwohner der zweitgrößten Stadt Serbiens haben ihre Kühlschränke mit Getränken für die Raver herausgestellt und boten diese zu fairen Preisen an. Ein besonderes Ritual beim EXIT Festival: Auf dem Weg zur Festung bieten ausnahmslos Frauen selbstgebrannten Raki an – bevorzugt in Reagenzgläsern. Mal mit Fruchtaromen versetzt, mal pur. Eine schöne Tradition. Auf dem Festivalgelände gab es verschiedene große und kleinere Bühnen mit Musik für jeden Geschmack: Rock, Goa, Reggae, Chill-Out, Afro-House, EDM und Techno. Letzteren erlebten wir auf der mts Dance Stage. Unter anderem mit Argy & Vintage Culture, Maceo Plex, I Hate Models und Patrick Mason. Und Patrick haben wir nach seinem schweißtreibenden Auftritt zum Interview gebeten.
Hi Patrick, du gibst bei deinen Gigs ja wirklich alles, nimmst die Leute mit, gehst nach vorne. Wie lange brauchst du nach einem Gig, um wieder runterzukommen und im Hotelzimmer schlafen zu können?
Ich kann tatsächlich immer und sofort schlafen, überall. Heute bin ich länger geblieben, weil ich I Hate Models supportet habe. Er ist ein guter Freund von mir. Wir leben beide in Lissabon und haben eine sehr gute Connection. Jedes Mal, wenn wir hintereinander spielen, bleibe ich. Bei mir bleibt er auch und so supporten wir uns gegenseitig. Das empfinde ich als sehr wichtig in unserer Industrie. Sobald ich im Hotel ankomme und Zeit habe, auch wenn es nur eine oder anderthalb Stunden sind, gehe ich duschen, mein Koffer ist dann schon gepackt und haue mich dann 45 Minuten hin. Ich kann auch sofort schlafen, mache mir dann noch eine Anime-Folge von Studio Ghibli an. Dann schlafe ich innerhalb von zehn Minuten ein und mein Wecker klingelt 45 Minuten später. Dann bin ich wach und einigermaßen fresh, um die Reise zur nächsten Destination anzutreten. Das ist ein Blessing, dass ich überall schlafen kann.
Krass. Ich habe vorhin nochmal deinen Tourkalender durchgecheckt. Beim Monegros spielst du beispielsweise und auf vielen weiteren großen Veranstaltungen. Es ist kein Geheimnis, du hast sehr viele mehr Anfragen im Sommer, wenn an jedem Wochenende sieben bis acht Festivals stattfinden. An diesem Wochenende finden zum Beispiel das Melt und die Airbeat One statt. Wie entscheidest du, auf welchen Festivals du spielst? Entscheidest du das mit deinem Manager? Hast du Festivals, bei denen du unbedingt spielen möchtest und welche, die du bewusst ablehnst?
Generell läuft das bei mir so ab: Das ist jetzt so meine dritte Runde um den Ball, ich mache das noch nicht so lange. Ich habe innerhalb der zweieinhalb Jahre allerdings schon sehr viele Festivals mitgenommen und Erfahrungen sammeln können, was mich anmacht und was mich total abturnt. Artist Care, Line-ups, Soundsystem, Stage, Set-up, Produktion, Licht und wie mit einem umgegangen wird – das sind für mich so die Key-Points, die mich dazu verleiten, entweder wiederzukommen, nicht mehr hinzugehen oder auf diesem Festival zu spielen. Tatsächlich hat es für mich dieses Jahr einen Umschwung gegeben. Ich habe jetzt einen 70-30-Split. 70 Prozent Techno, 30 Prozent House-Hits. Gleichzeitig, da ich jetzt die letzten Jahre sehr viele, sehr große kommerzielle Festivals bespielt habe, möchte ich nächstes Jahr das Ganze ein bisschen zurückschrauben und möchte mich mehr auf Produktionen konzentrieren, um auch gleichzeitig ein bisschen coolere Underground-Festivals zu spielen, wie Draaimolen zum Beispiel. Das ist von der Produktion her gesehen eines der Festivals, wo ich noch unbedingt hin möchte. Dekmantel, auch eines der Festivals, die ein sehr geiles, progressives Line-up haben, auch divers. Das ist für mich auch sehr wichtig. Ich möchte nicht mehr auf diesen Hard-Techno-Line-ups auftauchen, weil es auch nicht mehr mein Genre ist. Klar, ich habe Sektionen in meinen Sets, die ich aufgreifen kann, wenn es der Vibe verlangt. Wenn ich allerdings die Möglichkeit habe und sehe, die Crowd geht mit meinen Sets mit, versuche ich das auf einen sehr begrenzten Zeitraum zu belassen.
Du hast sehr viele Edits gespielt, bzw. Neubearbeitungen, zum Beispiel den KI/KI Remix vom Klassiker „Don’t You Want Me“ von Felix, aber auch so Sachen wie „Rhythm Is A Dancer“, ein paar Acid-Klassiker.
Für mich ist es immer wichtig, eine bestimmte Mischung zu haben. Ich liebe Edits, da ich ein 90s-Kid bin, 89er-Jahrgang. Ich bin mit den ganzen Tracks aufgewachsen, das sind so die Sachen, die mich mitnehmen. Das im Kontext von Techno oder Hardgroove aufzugreifen, ist auch immer für die Menge sehr schön. Das ist ein sehr uplifting Vibe. Die Leute können mitsingen, wissen die Lyrics dazu und haben eine ganz andere Verbindung. So können andere Memories geschaffen werden. Ich versuche auch immer eine Sektion von „Business-Techno“ einzubauen, da ich zwölf Jahre Education als Berghain-Raver habe. Meine Vorbilder da waren DVS1, Freddy K – die Götter des Berghain-Closings, was ich auch sehr wertschätze. Leider hat man bei diesen Festivals nur eineinhalb bis zwei Stunden maximal und ist dann sehr limitiert im Storytelling, was man aufgreifen kann. Deswegen versuche ich mein Genre weit auszubreiten und die Leute auf eine Reise mitzunehmen. Edits – ja, spiele ich gerne, können geil sein. Man darf es halt nicht übertreiben, sonst wird es sehr gimmicky.
Ja, das ist richtig. Du warst ein zwei Mal kurz davor, dass ich dachte – jetzt reicht es.
Ja, man muss die Kurve kriegen.
Du hast es als einer der wenigen geschafft, diesen Spagat zu schaffen zwischen vordergründiger „DJ-Puppe“ und DJ. Du bist in der Szene sehr anerkannt. Natürlich, Hater gibt es immer, die sagen: Warum fuchtelt der da die ganze Zeit herum? Aber dir nimmt man das ab. Wie hast du das geschafft?
Authentizität. Das Ding ist, ich bin sehr performativ, aber gleichzeitig habe ich Skillz. Ich glaube das ist das Ding, das die ganzen anderen performativen Gimmick-TikTok-DJs nicht haben. Ich habe wirklich auch Background-Wissen von Techno- und House-Musik. Ich weiß, wo das ganze herkommt, wenn ich die Edits spiele. Ich weiß, was das Original ist. Demnach spiele ich Classics auch ganz bewusst, um auch die Leute zu educaten, wo es herkommt. No it’s not the original, da kommt es her, 94 auf dem und dem Label released – um das dann gleichzeitig mit meiner Performance zu enhancen. Ich glaube, das ist der Knackpunkt. Ich mache das nicht for attention seeking, wie gesagt, ich bin Raver first und habe schon immer so getanzt, auch auf der Tanzfläche. Ich gehe komplett ab, wenn ich was fühle, dann fühle ich es. Wenn das dann auch authentisch rübergebracht wird, merken das auch die Leute.
Hast du das Gefühl, dass du dich selbst ein bisschen zurückhalten musst, dass du denkst, jetzt übertreibe ich es, jetzt gehe ich zu sehr aus mir raus?
Es gab letztes Jahr so Momente, wo ich bemerkte, ja, jetzt hast du mal ein bisschen übertrieben, drei Mal zu oft irgendwie auf die Stage gestiegen. Ich bin sehr reflektiert, ich gucke mir natürlich auch immer die Videos an, die gepostet werden, wie meine Bühnenperformance von außen aussieht. Ich bin auch ein sehr selbstkritischer Mensch, immer sehr fokussiert. Demnach versuche ich mich natürlich immer weiterzuentwickeln. Ich glaube meine Reise in der elektronischen Musik hat sich auch sehr krass evolviert, von dem Sound, den ich spiele, den ich auch weiter kultivieren möchte. Es geht in eine Richtung, wo ich mich etwas weiter zurücknehme, die Dance-Performance so bleibt, jedoch die Höhepunkte bewusster gesetzt sind. Ich war heute zwei Mal vorne, auch eher gegen Ende, um einen Klimax zu schaffen, rather irgendwie für ein „hallo, hier bin ich“, sondern um die Kirsche auf die Sahnetorte zu setzen.
Liest du Kritik über deine Gigs? Nimmst du diese dir zu Herzen? Oder bist du an einem Punkt, dass du sagst, das tangiert mich nicht? Aber du wirkst ja sehr reflektiert, insofern …
Konstruktive Kritik ja, von Leuten die ich respektiere. Generell lese ich mir keine Kommentare von fremden Publikationen auf Instagram irgendwie durch, die eine ganz andere Zielgruppe ansteuern als die, die ich bediene. Demnach: Wie gesagt, Haters gibt es immer, das ist jetzt nicht wirklich peripher. Ich habe mittlerweile so viele Receipts, ich glaube heute haben wir es auch wieder gesehen. Die Leute kommen zu meinen Shows, weil sie genau das kriegen, was sie brauchen. Sie bekommen was Neues, was Frisches, ich glaube das ist das, wovor auch diese ganzen Techno-Snobs ein bisschen Angst haben, weil ich ja komplett frisch bin. Alle Oldschooler, die sich halt sehr fokussiert mit No-Headdown auf das Nobbing sage ich mal fokussieren, die können halt nicht mithalten oder haben sich gefragt, wie sie da mithalten können. Aber ich sage auch immer ganz bewusst, es geht nicht darum irgendwie mitzuhalten. Jeder hat seine eigene Art und Weise, sein Set und seinen Vibe zu klären. Niemand muss einen auf Halodri machen, um seinen eigenen Vibe zu kreieren. Ich sage es immer wieder DVS1, Freddy K, sind Top Nobs DJs. Das heißt, du musst nicht Performance aufsetzen, um die Leute mit Hands Up crazy durchdrehen zu lassen. Du musst es einfach schaffen, einen authentischen Vibe zu kreieren, der die Leute fesselt und in eine Ekstase versetzen kann.
Was macht für dich das EXIT Festival aus?
Das EXIT Festival ist für mich im osteuropäischen Raum das Nummer-Eins-Festival. Nicht nur, weil sie ein sehr gutes, diverses Line-up haben, sondern, weil die Artist Care auch top notch ist. Es ist sehr nah am Herzen. Man merkt wirklich, dass sie sich damit sehr beschäftigen, ein wirklich gutes Festival auf die Beine zu stellen, dass nicht nur die Artists, sondern auch die Festivalgänger auf ihre Kosten kommen. Ich glaube das wird heutzutage bei diesen Festivals, bei denen es nur um Money-Making und Ticket Sales geht, sehr oft vernachlässigt.
Im nächsten Jahr 25-jähriges.
25 Jahre – man merkt ja auch jetzt mittlerweile, sehr viele Festivals brechen weg, können nicht mehr mithalten. Das Melt Festival hat jetzt auch das letzte Mal stattgefunden. Dass sich dieses Festival erfolgreich nach 25 Jahren so gut halten kann, spricht eigentlich für sich.
Hier ein kleiner Eindruck von Patrick Masons Set während des EXIT Festivals 2024:
Und hier ein genereller Einblick in einen seiner energetischen Auftritte: