Faze Trip #München (Part 1) – Wo kommt eigentlich der Münchner Techno her?

Optimal Records Foto: Sandro Prodanovic

Elektronische Tanzmusik ist heute wohl beliebter denn je. Unzählige Clubs, Open Airs und Festivals liefern Jahr für Jahr ein breites Partyangebot für Raver. Dabei einen klaren Überblick zu behalten, ist jedoch leichter gesagt als getan. Mit FAZE Trip soll sich das ändern. Die nationale Reihe versorgt euch mit ausreichend Infos, dank derer planlose Städtetrips der Vergangenheit angehören! Ausschnitte über die damalige und heutige Szene sollen mehr Klarheit über den Werdegang elektronischer Musik verschaffen, aber auch die aktuellen Entwicklungen deutlich machen. Beim ersten FAZE Trip habe ich mich der Domstadt gewidmet, die für ihren minimalistischen Sound und legendäre Partys bekannt ist. Diesmal konzentriere ich mich auf die bayerische Landeshauptstadt München: Kaum einer deutschen Stadt eilt der Ruf so weit voraus wie ihr. Kommerz und Schickeria, so weit das Auge reicht, eine gähnende Clubkultur und bayerische DJs ohne Plan – alles Papperlapapp! Dass die spießigen Münchener gar nicht so spießig sind, wie behauptet wird, wird spätestens mit diesem Artikel klar.

Es waren die 70er, in denen die Discomusik in München eintrudelte und neue Vibes in die Stadt brachte. Genau genommen war es 1977, als eine Münchener Produktion zum Welthit wurde: „I Feel Love“ von Donna Summer. Aufgenommen wurde das Stück in Giorgio Moroders Musicland Studios. Der Song eroberte die Charts von Europa bis in die USA und setzte einen neuen Trend in Gang, der unsere Clubmusik bis heute prägt: Disco. München entwickelte seinen eigenen Sound, angelehnt an amerikanische Soul-Musik, die viel maschineller und poppiger war als das, was man von Funk bis dahin kannte. Die Musikszene veränderte sich, wurde vielfältiger und experimenteller.

Michael Reinboth

„Wenn ich die Spielzeiten meiner Platten zusammenrechnen würde, dann dürfte ich nicht mehr schlafen, um das alles noch hören zu können.“

Wir starten unseren Trip mit Michael Reinboth, dem Gründer des mittlerweile 25 Jahre alten Labels Compost Records, der mit mir eine Zeitreise durch die Münchener Musikgeschichte machte. „München ist viel souliger als andere Städte. Das liegt zum einen an den Amis, die hier stationiert waren. Die haben hier in München und Umgebung einfach viel schwarze Musik gespielt; also Soul oder Disco – und letzteres ist ja ein Bestandteil von Techno. Das wurde dann auch in den damals offenen Kanälen wie im Radio sowie in den öffentlich-rechtlichen Sendern von Fritz Egner oder Freddie Kogel im Bayerischen Rundfunk gespielt. Und das hatte seine Auswirkungen, denn seit den 70er-Jahren hat sich diese Art von Musik hier festgesetzt.“

Michael kam 1982 von Hannover nach München, im Schlepptau hatte er sein Musikmagazin Elaste und startete als Resident im derzeitigen Kult-Club schlechthin: „Damals war das P1 noch richtig cool und in den 80ern der Szeneladen in München – überhaupt kein Vergleich zu heute. Damals hatten die Läden noch ihre eigenen Platten, früher war das einfach normal, dass nicht die DJs die Platten mitbrachten, sondern die der Clubs benutzten. Wir durften dann auch fürs P1 einkaufen gehen, mindestens einmal im Monat war ich in London, um dort neue Musik zu besorgen. So richtig änderte sich das mit dem Babalu – das war der erste Club, der 1987 sein DJ-Booking selbst machte.“ Fast zeitgleich kam ihm zusammen mit seinen Partnern Florian Keller und Theo Thoennessen die Idee, Jazz-, Soul- und Elektroklänge in München erstmals miteinander zu verbinden. Das Ganze packten sie unter den Namen „Into Somethin“, um gegen die Masse der kommerziellen Discos zu rebellieren. Der Startschuss fiel im Babalu, 1991 ging es weiter im Park-Cafe, dann im Muffatcafé. Drei Jahre später folgte das eigene Label. „Das war schon sehr einzigartig und ein sehr eigener Sound für München. Und mit der Art Musik wollte ich dann ein eigenes Label machen. In Deutschland gab es noch kein Label für diese Zwittermusik zwischen House, Techno und downbeat-jazzigen Elementen. Daher waren wir da schon so ziemlich die Ersten, die so was gemacht haben. In Deutschland war Compost eigentlich die Marke, die für diesen Sound stand.“

Bevor Michael sich mehr dem eigenen Label widmete, verbrachte er seine Zeit vor allem in Record-Stores und verwandelte sich in einen Plattenjunkie – das kann man wohl über jemanden sagen, der mal 80 000 Exemplare besaß. Damals gab es verschiedene Methoden, um an die besten Stücke ranzukommen: „Donnerstags und freitags kamen immer die neuen Lieferungen in den Plattenladen, da musste man schnell sein, da es manche Exemplare nur einmal gab. Wenn man Pech hatte und die Platte schon weg war, musste man sie bestellen und Wochen warten. Einige Leute wie DJ Hell, Monika Kruse oder ich hatten ein eigenes Fach im Plattenladen mit Namensschild. Für uns wurden ebendort bestimmte Neuheiten quasi vorsortiert und ins Fach gestellt. So ging das jede Woche. Diese sozialen Kontakte im Plattenladen, nebst Kaffee, Klön und Fachsimpelei, gibt es heute natürlich so überhaupt nicht mehr, das ist ziemlich schade. Heute ist das alles viel anonymer geworden. Auf der anderen Seite geht es durch Discogs und die vielen Online-Mailorder-Services viel leichter und schneller, an limitierte und bereits ausverkaufte Stücke zu kommen. Das war damals wesentlich komplizierter. Wenn man nach etwas Bestimmtem gesucht hat und der Plattenladen das nicht bekommen konnte, musste man die Bestelllisten von Händlern aus Amerika oder England auf Papier per Post oder Fax anfordern. Das waren oft kleine Minikataloge, um die 30 bis 40 Seiten, mit Vorder- und Rückseite klein bedruckt: Artist, Titel und Preis. Dann schickte man die Wünsche per Fax ab und nach ein paar Tagen kam ein Fax zurück mit der Info, was vorrätig ist. Bezahlt wurde per Scheck, denn damals gab es ja keine Onlineüberweisung. Dann wurde der Scheck eingelöst und die Platten im Anschluss zugeschickt – der ganze Prozess dauerte ca. drei bis vier Monate. Und wenn das Paket dann endlich kam, war das wie Weihnachten.“

Michael verlor sich nicht nur einmal in Geschichten von früher. Folgende ließ ihn besonders schmunzeln: „Smartphones in Clubs oder auf Konzerten sind eine Katastrophe. Ich finde das furchtbar auf Raves, wenn die Leute mit ihrem Handy dastehen und Selfies von sich machen mit dem DJ im Hintergrund. Ein Vorteil ist, dass sie auf Shazam zurückgreifen und nachschauen können, welcher Titel gerade läuft. Früher hatten wir dafür die Decksharks. Das waren diejenigen im Club, die vorne am Pult rumstanden, guckten, was der DJ spielt, und sich die Tracks auf einem Block notierten. Es gab bestimmt immer zehn bis 20 von denen im Club, es waren immer dieselben Leute.

www.compost-rec.com

René Vaitl

Am Anfang habe ich mir total naiv Locations ausgesucht und einfach nur ein Soundsystem hingestellt.“

René Vaitl ist in München bekannt für seine vielseitigen Housesets und viele unvergessliche Partynächte – ob als Resident im alten P1, im KW – Das Heizkraftwerk, der Mandarin Lounge, im Pacha oder alljährlich beim Greenfields Open Air. Er ist einer der großen Organisatoren Münchens und trifft man ihn im wahren Leben, ist es, als würde man sich mit einem Freund über Musik unterhalten. 1986 hörte der 16-jährige René im Auto seiner Freunde seine erste Houseplatte. Damals wusste er es noch nicht, aber Jackmaster Funks „Love Can’t Turn Around“ veränderte sein Leben: „Meine Freunde hatten im Auto ein Mixtape an, das mich total umhaute. Denn diese Art von Musik hatte man ja nicht einfach so um die Ecke. Etwas später war ich im Peter Pan Club und hörte DJ Cirillo, wie er auf drei bis vier Plattenspielern eine Mischung aus NY-House, Acid-House und Chicago-House spielte, und ich sah das Paradies. Im Anschluss kaufte ich mir zwei seiner Mixe und hörte sie ein ganzes Jahr lang im Auto durch.“ Daraufhin musste er seinen Musikdurst erst mal woanders stillen: „Richtig los ging es 1988. In Deutschland gab es diesen Sound noch nicht, die DJs haben das auch nicht aufgelegt und so bin ich dann mit 18 das erste Mal nach London. Dort gab es den sogenannten ,Summer of Love’, wie die Engländer es nannten, mit Acid-House. Für einen Münchener war das schon was Besonderes, nach London zu kommen, man konnte täglich in Clubs gehen. So lernte ich auch den Produzenten Dave Darroll kennen, der mich dann mit geilen DJs zusammenbrachte, die ich daraufhin auch nach München holen konnte. Und so habe ich angefangen, Partys zu machen; meine Veranstaltungen habe ich mit Londoner DJs gemacht.“ Vaitl war der erste Veranstalter in München, der die Musik zu sich holte. Damals war es noch nicht üblich, dass internationale Headliner das Line-up schmückten.

Wir spulen ein paar Jahre vor, genau genommen ins Jahr 1992. René fährt fort: „Weiter ging es mit Westbam, da kamen dann die größeren Partys zustande. Die Veranstaltungen mit ihm liefen so gut, dass ich ihn fast monatlich einlud. Michi Kern, unser heutiger Partner aus dem Pacha, arbeitete zeitgleich mit Sven Väth. Wir wechselten uns monatlich ab, so gab es ein Wochenende mit Westbam und eins mit Väth. Als der Flughafen damals auszog, wurden die Hallen frei, die sich als die perfekten Ravehallen erwiesen. Ich habe 1994 die ganze Low-Spirit-Bande veranstaltet, darunter auch Marusha. Und Westbam war ja der Mainact von Low Spirit – damals hatten die teilweise richtige Charterfolge, das war total grotesk, denn das war ja eigentlich alles Underground, aber die Releases der Künstler waren teilweise auf Platz 1 in den Charts. Das führte dann dazu, dass irre viele Leute kamen. Circa dreimal veranstaltete ich eine Party namens ,Rave City’ in den Hallen, mit etwa 25 000 Leuten. Das fand auf sechs bis sieben Floors statt und da war dann eben alles geboten – von NY-House wie Frankie Knuckles und Dave Morales bis hin zu Drum ’n’ Bass wie Fabio & Grooverider.“

Als die Hallen 1996 abgerissen wurden, eröffnete René seinen Club das Heizkraftwerk, parallel zum Ultraschall, das nach der Schließung der Hallen ebenfalls in den Kunstpark Ost umzog. Im Heizkraftwerk fand 1996 auch seine erste „World League Party“ statt, eine Veranstaltung, die House, Techno und internationalen Gastauftritten gewidmet ist. Noch heute findet sie acht- bis zehnmal im Jahr in verschiedenen Locations statt. Ach, und im Jahr zuvor startete er zusammen mit Michael Reinboth die Mandarin Lounge, einen straighten NY-House-Club: „Der Club war einfach eine alte Dreizimmerwohnung. Mit Kühlschrank im Flur, aus dem wir die Getränke servierten. Am Wochenende spielten wir nur House und donnerstags probierten wir uns aus mit Drum ’n’ Bass oder Trip-Hop.“ 2001 wurde René Teilhaber im Pacha, noch im selben Jahr kommt das Greenfields Open Air dazu, mit Sven Väth als jährlichem Headliner: „Damals gab es den Love Family Park und irgendwann kam Väth dann mit der Idee zu uns, dass wir so was ja auch in München machen könnten. Wir haben dann recht schnell die Galopprennbahn als Location gefunden und machten die ersten beiden Jahre mit Väth und Ricardo Villalobos. Seit letztem Jahr kommt auch noch das Diynamic Festival hinzu, ebenfalls auf der Galopprennbahn in Riem.“

www.greenfields-openair.de

DJ Cambis

„Die Schwulenszene stirbt aus in Zeiten von Social Media.“

Dass Housemusik ein großes Ding in München ist, dürfte mittlerweile klar sein. Daran mitgewirkt hat auch die Gay-Szene, die für diesen gefühlvollen Stil besonders empfänglich war. Um etwas mehr über diese Szene zu erfahren, habe ich mich mit Cambis Sharegh, auch bekannt als DJ Cambis, unterhalten, der seit den 90ern für gute Vibes und Klänge auf verschiedensten Gay-Partys sorgte. „Mitte der 90er legte ich in der Mandarin Lounge auf, ich hatte den Gay-Freitag und René Vaitl den Samstag. Das war vom Anfang bis zum Ende eine legendäre Zeit, sogar heute redet man noch davon. Es gab viele magische Situationen und Momente, weil einfach alle Komponenten zusammengepasst haben. Ich erinnere mich an einen Freitag, an dem Frankie Knuckles dort spielte. Damals hatten bereits die ganzen internationalen DJs von dem Club gehört und jeder wollte ihn erleben. Er legte an dem Abend bis 8:00 Uhr auf. Im Club gab es ein großes Wir-Gefühl und es war eine richtige Community, das hat sich jeden Abend dort gezeigt.“

Zusammen mit seinem Partner Pete Hannewald eröffnete er einen Luxus-Modeladen in der Müllerstraße namens „Pool“, der im Keller ein kleines Paradies beherbergte: „Damals nach dem Abitur wollte ich kein Studium beginnen, als dann zwischen 1990 und 1995 die neue Welle der Clubgänger-Generation ankam, eröffneten wir einen Laden, der damals noch ,POOL Clubwear’ hieß. In dieser Zeit wurde die erste House-Generation geboren und daher verkauften wir unten im Keller exklusive Houseplatten aus den USA und hatten ein paar Plattenspieler und Couches aufgestellt. Das war ein Treffpunkt für die ganzen Leute, die Musik machten. Ich habe dort angefangen zu üben und entdeckte dort auch mein Interesse fürs DJing. Das war meine eigene Spielhöhle, entweder spielte ich mit anderen DJs zusammen oder einfach allein. Mit 19 sagte ich mir dann: Das mache ich professionell. Kurz danach kamen meine ersten Bookings rein und ich bekam noch im selben Jahr meine Residency im Blub Club, wo ich unter anderem neben DJ Hell und Tom Novy spielte.“

Cambis klärte mich während unseres Gesprächs über einen ganz entscheidenden Wendepunkt auf, der in den letzten Jahren für Schwule zum großen Problem wurde. Mit dem Internet kamen viele neue Möglichkeiten auf, vor allem was das Aufreißen angeht. Heute muss man sich nicht mehr die Mühe machen, abends auszugehen, um dann darauf zu hoffen, dass dabei eine Nummer rauspringt. Mit Grinder und Co. reicht ein Match und ab geht die Fahrt ins fremde Zuhause. „Clubtechnisch gesehen gibt es heutzutage eine Übersättigung. Worunter die Schwulen am meisten leiden, weil dadurch eine Komponente des Kennenlernens wegfällt. Durch die Sozialen Medien geht das soziale Leben sehr unter und reduziert sich auf das Virtuelle. Die Gay-Szene stirbt nach und nach aus durch Datingportale. Die Müllerstraße war in den 90ern die Schwulenstraße in München, es gab 15 bis 20 verschiedene Clubs und Bars. Heute gibt es vielleicht noch ein oder zwei. Das fing mit der Jahrtausendwende an, da das Viertel irgendwann als cooles Viertel entdeckt wurde. Auf einmal gab es eine richtige Invasion von Hipstern, die aber nicht schwul waren und somit die Szene gebrochen haben. Heute ist Popmusik in reinen Schwulenclubs sehr beliebt, wie auch im NY – das war der erste Schwulenclub in München. Durch die poppige Musik bricht bei den Schwulen jedoch die Subkultur weg, daher spielt schwules Clubbing heute kaum noch eine Rolle, wenn man zum Feiern rausgeht. Es geht eher um den DJ und das Event und nicht darum, ob es eine reine Schwulenparty ist.“

www.instagram.com/supercambis

David Süß und Peter Fleming

„Wenn du heute eine illegale Party machst, kannst du dir sicher sein, dass nach zwei, drei Stunden die Polizei auftaucht.“

David Süß und Peter Fleming sind in München vor allem für das Harry Klein bekannt. Angefangen hat ihre Geschichte mit dem Ultraschall und Davids Liebe zur elektronischen Musik. 1992 brachte ihm ein Freund ein Technotape aus London mit. Wenig später eröffnete er zusammen mit Peter Wacha aka DJ Upstart und Dorothea Zenker den eigenen, heute legendären Club in München. „In München gab es so gut wie keine Partys, die uns gefielen, und vor allem gab es da noch eine Sperrzeit. Ausgewählte Läden hatten bis 4:00 Uhr offen, alle anderen mussten um 1:00 Uhr schließen. Die Ausnahme war das Babalu. Aus diesem Grund wollten wir unsere eigenen Partys machen und haben 1992 die ‚Ultraworldpartys‘ zum Leben erweckt. Das Besondere an ihnen war, dass es keine Sperrzeiten gab. Somit war mehr möglich: größere Partys, größere Raves oder Konzerte. Damit konnten wir der Stadt auch zeigen, dass es einen enormen Bedarf an so einem Nachtleben gab. Daraufhin machten wir unseren eigenen Club namens Ultraschall. Unter unseren Residents waren zum Beispiel Monika Kruse, DJ Hell, Acid Maria und Electric Indigo. Wir waren nur eine kurze Zeit am Flughafen Riem, sind nach drei Jahren an den Kunstpark Ost gezogen, dort ist dann Fleming dazugekommen.“ Peters Position war zu Beginn noch eine ganz andere: „Ich war damals ein begeisterter Fan vom Ultraschall und war nahezu jede Nacht dort. So habe ich irgendwann angefangen, an der Freitagskasse zu arbeiten. Später wurde ich zum Türsteher befördert. Und so lernten wir uns kennen – ich war ein Raver und David der Veranstalter.“

Im Winter 2003 kam der Entschluss, das Ultraschall dicht zu machen. Zusammen mit Davids Bruder Peter Süß und Jochen Schücke gründeten die beiden noch im selben Jahr den Nachfolger Harry Klein. Bis 2010 war die Location in den Optimolwerken zu Hause, danach ging es weiter in die Sonnenstraße. Für die beiden brachte der Standortwechsel die ein oder andere Veränderung mit sich: „Dadurch, dass wir in der Stadt waren, hat sich dann doch einiges deutlich verändert. Das Publikum wurde bunter, durch die Nähe zum Hauptbahnhof und den Hostels kamen mehr Touristen dazu als zuvor. Elektronische Musik ist heute wirklich angekommen und wird akzeptiert. Damals war das eine Randerscheinung. Es gibt zwar heute ebenfalls noch eine Subkultur, aber Techno wird schon stärker von der breiten Masse wahrgenommen. Als Teil der Popkultur sozusagen. Bei uns war damals einfach ein Aufbruch zu spüren, es war was Neues. Wir haben heute eine Breite erreicht, die es damals noch nicht gab. Ins Planet in Berlin sind wir als Heteros gar nicht reingekommen. Es ist jedoch auch was Schönes, dass die Leute diese Partys heute erleben können. Es gibt ein Grundverständnis untereinander, man möchte zusammen feiern. Es ist eine tolerante Szene, in der es darum geht, zusammen Spaß zu haben.“ Dass die Szene sich immer noch weit von anderen musikalischen Stilrichtungen abgegrenzt, ist nicht der einzige Bonus. Während man sich an anderen Musikarten schnell satt gehört hat, ist hier kein Ende in Sicht, schwärmt Peter: „Das Tolle und Motivierende an der elektronischen Musik ist, dass es immer noch so eine Entwicklung gibt. Dass Techno im Gegensatz zu anderen Musikrichtungen einen Fortschritt macht, der sich in wöchentlich neu erscheinenden Bässen und Tracks widerspiegelt. Das fehlt mir einfach bei anderen Arten.“ In puncto Styling könne man heute leider nicht von Fortschritt sprechen – David denkt zurück: „Dresscodes waren damals lange nicht so einseitig wie heute im Berghain. Damals war das eher so ein Militärchic. Auf meiner ersten Party zeigten sich die Typen oberkörperfrei, mit rasiertem Schädel. Das hat mir damals richtig Angst gemacht. Im Vergleich zu heute war es jedoch bunter und spannender. Heute gibt es die schwarze Kutte und schon bist du drin.“ Peter ergänzt: „Mittlerweile gibt es wieder Entwicklungen, wie beispielsweise mit der Fusion oder dem Garbicz Festival; Männer, die sich schminken – es kommt nicht darauf an, ob man Mann oder Frau ist.“

Als einziger Club weltweit bietet das Harry Klein mit „Marry Klein“ einen Veranstaltungsmonat der besonderen Art, wie Peter erzählt: „2006 habe ich eine Sendung auf ARTE gesehen, die mich hat nachdenken lassen. Da ging es um Frauen in der Kunstszene. Daraufhin fragte ich mich: Was ist eigentlich mit Frauen in der Musikszene? Mir ist aufgefallen, dass es wenig Frauen gibt, die in Clubs spielen, und das wollten wir dann bei uns ändern. Seitdem performen im März ausschließlich weibliche Künstlerinnen bei uns. Im alten Harry Klein ist die Idee nicht so richtig rübergekommen, das Publikum hatte das nicht ganz verstanden. Es gab keine Diskussionen oder Gespräche darüber, es wurde einfach so hingenommen. Uns wurde dann empfohlen, auch Workshops für Frauen anzubieten – das hat dann mehr Aufmerksamkeit erzielt, sodass auch die Presse darüber berichtete.“

www.harrykleinclub.de

 

Hier geht es zur Bildergalerie:

Text: Sofia Kröplin
Logo: Florian Pohl by onbail-Artworks

 

Das könnte dich auch interessieren:
Faze Trip Part 1: Köln – auschecken ist angesagt!
Faze Trip #Köln (Part 1) – Wo kommt der Kölner Techno her?
Faze Trip #Köln (Part 2) – das geht 2019 in Köln