Jan Blomqvist – Radikaldemokratische Weltumarmungselektronik

Jan Blomqvist RC Press 2 copyright by Christian Dammann5
In einem niedersächsischen Bauwagen gründete der in Berlin – und nicht in Schweden – geborene Jan Blomqvist seine erste Band. Als Kind soll er nie geweint haben, nur gesungen. Irgendwann kommt Punk. „Musikalisch eher destruktiv, charakterlich aber mehr oder weniger bildend“, erinnert er sich. Mit den Gagen der ersten Auftritte werden Verstärker und Equipment gekauft. Mit 21 studiert er Raumfahrttechnik und lernt Techno und damit auch DJs kennen. Geld verdient er als Barmann im Weekend und gibt es auf „Bildungsreisen“ wieder aus: Radiohead-Open-Airs, Bar25, Afterhours. Irgendwann wird es klappen: „Die Langeweile in den Clubs aufbrechen, Konzertfeeling auf den Dancefloor bringen, mit einfachen Vocals und minimalen Beats. Rock ’n’ Roll im Club. Alles ganz einfach halten und im Detail die Finesse einbauen.“ Dann knallt es: 2011 die Fusion-Show vor 3.000 Leuten, Releases auf Dantze und Stil vor Talent. 2012 das Rooftop-Konzert im Weekend – das YouTube-Video wird Millionen Mal gesehen. 350 Gigs in drei Jahren. Jan Blomqvist hat den Konzerttechno erfunden und ihn salonfähig gemacht – träumerische Vocals und einfache Beats. Mit seiner Band spielt er tanzbaren Electro-Pop, als Solo-Künstler macht er Clubsoul. Nun erscheint mit „Remote Control“ das Debütalbum des charmanten Hauptstädters.Radikaldemokratische Weltumarmungselektronik verpackt in zwölf Tracks“, nennt er es. Hingehauchte Melodien, soulige Vocals, hell-dunkler Text. Eine Prise Portishead, eine Messerspitze Mary J. Blige. Gemeinsam mit seiner Band um Christian Dammann, Drummer, und Felix Lehmann, Pianist, geht er nun auf Tour. „Die unvollkommenen Sounds zum Charakter machen. Emotional, ehrlich, authentisch, verfrickelt, detailliert, bassbetont, zweitonakkordig, nicht immer schulbuchmäßig, weil manchmal gerade der mini-schiefe Ton die Gänsehaut erzeugt.“

„Remote Control“ stellt dein Debütalbum dar. Wie lange hast du daran gearbeitet?

Das ist schwer zu sagen. Es fühlt sich überhaupt nicht an wie ein Debütalbum. Die ersten Ideen für dieses Album hatte ich bereits 2006 – ich wollte ja von Anfang an immer Alben machen. Es kam aber anders und viele meiner Tracks wurden auf EPs oder Compilations veröffentlicht. Die Entwicklung in meinen Bookings war so auch nicht vorhersehbar. Es kamen völlig unerwartet so viele Anfragen, dass echt wenig Zeit zum Produzieren blieb. Normalerweise kommt erst das Album und dann kommen die internationalen Gigs. Bei mir war’s andersrum. Im Studio selbst war das ein langer Prozess, aber so wirklich konzentriert und zielgerichtet habe ich ca. drei Jahre daran gearbeitet. Allein die Arbeit an den zwölf Texten hat sicher vier bis fünf Monate gedauert. Ich habe an den Lyrics zusammen mit Ryan Mathiesen aus Vancouver immer nachts in unserer gemeinsamen WG-Küche gefeilt, wenn ich mal in Berlin war. Beim Recording und Mixing der Tracks half mir Felix Lehmann, mein Bandpianist, mit dem ich mir auch ein Studio teile.

Welche Herausforderungen bzw. Phasen hast du bei der Produktion durchlebt?

Ich habe eigentlich immer viel zu viele Ideen. Klar, das ist besser, als wenn man zu wenig Ideen hat, aber es kann natürlich in der Album-Produktion auch zum Problem werden. Für mich ist es dadurch total schwierig, einen Track basierend auf der Grundidee zu Ende zu bringen, ohne ihn mit 1.000 anderen Komponenten wieder zu „verschlimmbessern“. Man hört das ja auch auf dem Album. Von manchen Endpart-Variationen, Mittelpart-Breaks oder etwas Extra-Gefrickel konnte ich mich einfach nicht trennen. Aber das ist im Endeffekt auch mein Style und ich mag’s auch nicht, immer total glatt zu klingen. Die meisten dieser Ecken und Kanten sind sogar extra so produziert. Manches aber auch nicht.

Das klingt nach einer Achterbahn der Gefühle.

So könnte man es fast beschreiben, ja. Man kann nicht alles hundertprozentig nach Plan ausproduzieren. Manchmal muss man es auch laufen lassen und dann andersrum den roten Faden wiederfinden. Und man wird ja auch technisch immer besser, wenn man jeden Tag im Studio arbeitet. Zudem entwickeln sich die elektronische Musikszene sowie Equipment-Technik, Sounddesign etc. aktuell so schnell und unaufhaltsam weiter. Mir haben oft schon fertig geglaubte Tracks nach einem gewissen Zeitraum nicht mehr gefallen und ich musste dann von vorn anfangen. Ich würde auf meinem Album niemals etwas releasen, das ich nicht selbst zu 100 Prozent gut finde.

War diese Tatsache somit die größte Herausforderung?

Nein, das war etwas ganz anderes. Ich denke, die größte Herausforderung an einem Album ist: Die Zeit. Im Gegensatz zu einer EP muss man beim Album über einen sehr langen Zeitraum dieselbe Grundidee verfolgen. Das musste ich erst lernen. Am Ende ist das Album aber in sich sehr stimmig geworden, ohne dabei langweilig monoton zu klingen, finde ich (lacht).

Mit welchen Tools hast du gearbeitet und wie haben sich die Arbeiten am Album im Vergleich zu den bisherigen EP-Produktionen verändert?

Ich arbeite schon immer mit Cubase und erzeuge meine Sounds mit zusätzlichen VST-Instrumenten. Ich liebe den digitalen Minimoog von Arturia, den kann man so schön detailliert layern. 2-Ton-Bass-Romantik. Dafür ist der Minimoog perfekt. Gegen Ende des Albums kamen dann immer mehr analoge Synths dazu. Auch die Shaker und perkussiven Sounds habe ich am Ende alle selbst eingespielt bzw. „eingeshaked“. Sagt man das so? (lacht). Eigentlich habe ich am Ende gar keine Samples mehr benutzt und alles nur noch analog produziert. Das war sicherlich für mich die größte Veränderung während der letzten zwei Jahre. Und jetzt kann ich meine eigene ältere Theorie auch endlich selbst bestätigen: Am besten ist es meistens, wenn man digitale Sounds und feine, tight getunte, digitale Automationen mit warmen, analogen Klängen kombiniert und dann da drunter einfach ein paar natürliche Noise Recordings layert.

Deinen Durchbruch hast du 2011 auf der Fusion gefeiert. Wie rekapitulierst du die seitdem vergangene Zeit?

Der Fusion-Gig war sicher ein erstes Highlight. Es kamen dann aber auch Releases auf Dantze und Stil vor Talent dazu. Dann das Rooftop-Konzert im Weekend Club – das hatten wir eigentlich nur gefilmt, um den Promotern meine damals neue Idee, Electro mit einem Live-Drummer zu spielen, vorzustellen. Das wurde dann „aus Versehen“ ein YouTube-Hit mit Millionen Klicks. So was kann man oft gar nicht beeinflussen, da braucht man auch manchmal ein bisschen Glück. Das einzige, was man da beeinflussen kann, ist, dass man einfach immer gut vorbereitet ist auf den Moment, in dem man dann mal Glück haben sollte. Zurückblickend ist da viel mehr passiert, als ich erwartet hätte, und wenn man das jetzt umgedreht denkt, dann ist es einfach sehr spannend, was noch alles so kommen wird. Ich denke, so muss man das als Musiker auch sehen: Keine großen Erwartungen oder konkrete Vorstellungen haben und einfach weiter das machen, was einen fasziniert, nur dann wird es auch gut. Ich habe immer versucht, alles möglichst easy und durchdacht und Schritt für Schritt laufen zu lassen, ohne den ganz großen Knall erzwingen zu wollen.

Meinst du, du hast dich in den letzten Monaten und Jahren verändert?

Vielleicht bin ich schon ein bisschen ein anderer Mensch geworden durch die vielen Reisen und das ständige Auf-sich-allein-gestellt-Sein. Etwas vernünftiger vielleicht und zielstrebiger. Aber ich mache immer noch genau die gleichen Dinge wie vor fünf Jahren. Ich schlafe immer noch lange, lasse mir sehr ungern etwas vorschreiben, erledige die unwichtigen Dinge immer zuerst, bin hungrig und abends nie müde. Also alles wie immer.

Wie unterscheidet sich der Erfolg von den Vorstellungen, die du vorher hattest?

In erster Linie mag ich immer noch die Momente während des Gigs. Ich schreibe, schraube, mixe alles allein im Studio und bleibe automatisch mit meinen Ideen erst mal im Verborgenen. Auf der Bühne fügt sich dann alles perfekt zusammen, woran ich vorher Jahre gearbeitet habe. Nichts ist mehr verborgen. Erst Stille, dann Energie. Es ist schon so, dass mich dieser Kontrast immer noch kickt. Und solange das so ist, werde ich auch weiter als Live-Musiker auftreten. Und danach geht es irgendwie immer direkt weiter. Rastlos. Da ist das Leben ganz anders, als ich es mir früher vorgestellt habe. Es gab schon immer wieder tolle Menschen überall auf der Welt, die ich ohne meine Musik wohl nie getroffen hätte. Ich muss aber ehrlich sagen, dass ich den Schlafmangel, den man so auf Tour hat, extrem unterschätzt habe. Manchmal bin ich gar nicht richtig wach, bekomme oft von den täglichen Erlebnissen nicht wirklich viel mit und konzentriere mich letztendlich nur auf die nächtlichen Gigs. Wenn ich mich dann am Dienstagmorgen frage, was ich eigentlich alles erlebt habe die letzten vier Tage, dann fallen mir oft nur die dunklen Clubs ein und die paar wenigen Leute, mit denen ich kurz ein bisschen reden konnte. Aber im Großen und Ganzen ist es doch alles schon viel, viel geiler, als ich es mir jemals erträumt hätte. Mega-anstrengend, aber irreversibel nice. Das Seltsame ist, ich lebe viel mehr in meiner eigenen Welt, als ich das erwartet hätte – obwohl jetzt ständig Leute um mich herum sind, die konkret irgendwas von mir wollen.

Wie hat sich dein Sound deiner Meinung nach in den letzten Monaten und Jahren verändert bzw. entwickelt?

Ich sehe mich immer zwischen Popmusik, Deep House, Electro und Minimal-Techno. Somit war das ja durchaus gewollt, immer wieder etwas anders zu klingen. Zuletzt bin ich aber wieder voll auf deepen Bässen und etwas härteren Kicks hängen geblieben. Würde ich jetzt sofort das nächste Album beginnen, würde es wohl eher nach darkem, melodischem Techno klingen. Ich würde super gern mal mit Stephan Bodzin zusammenarbeiten. Ich denke, das beschreibt am besten, wohin ich gerade will. Vor zwei Jahren habe ich viel mehr mit Popmusik-Elementen gearbeitet und stand total auf die Power, die in so einem Halfbeat drinstecken kann. Ich erschrecke aber immer wieder selbst, wenn meine Tracks am Ende total „typisch Blomqvist“ klingen – selbst wenn ich vorher dachte: „So, jetzt probierst du aber mal was ganz Neues aus.“ Geht irgendwie nicht. Mein eigenes Klangbild holt mich immer wieder ein, egal welchen Stil ich gerade produziere. Das ist vielleicht aber auch gut so.

Und technisch gesehen?

Meine Musik ist viel analoger geworden. Ich konnte mir den Traum erfüllen, einige Tracks des Albums komplett analog zu produzieren. Ich habe die Gagen immer sofort in fette Synthesizer oder gute Mikros investiert, sodass ich jeden Sound in meinem Kopf auf einmal selbst produzieren konnte und nicht ewig in irgendwelchen Tiefen meiner Sample-Library danach suchen musste. Ich denke oder hoffe zumindest, dass man das auf dem Album auch hört.

Du wirst im Rahmen deiner Album-Tour mit Band unterwegs sein – was können die Fans erwarten bzw. wie wird sich die Show von deinen Club-Gigs unterscheiden?

In den Clubs werde ich natürlich auch weiterhin solo touren. Aber jetzt zur Album-Tour auf den Konzertbühnen spiele ich ausschließlich mit meiner Band. Wir werden die Bühnen mit Synths, Drums, Bodentretern und Kabelsalat füllen und ich bringe zum Beispiel endlich einen Vocoder mit. Den wollte ich schon immer live einbinden. Es wird weniger Club-Set, wir werden auch mal Pausen einbauen und auch Halfbeat-Tracks spielen. Es wird ein richtiges Konzert, da muss nicht jeder Track „four to the floor“ tanzbar sein. Fast jeder Sound wird live gespielt werden. Es kommen nur noch diejenigen Sounds von Ableton, die man nicht live spielen kann: Rausche-Sounds, vorher aufgenommene Noise-Atmo, Knistern, Pukki-Sounds und all die Sachen, die rückwärts laufen. Fabian von The/Das nennt das immer „Goldstaub“. Das trifft’s super, finde ich. Goldstaub kann man nicht live spielen, den muss man vom Band kommen lassen. Und man kann live nicht rückwärts spielen – jedenfalls nicht in unserem Universum. Reverse Sounds klingen aber einfach zu schön, als dass ich live auf sie verzichten wollen würde. Das heißt, Ableton werde ich schon noch brauchen.

Was hast du außerdem für die kommenden Wochen und Monate geplant?

Ich plane, das Album komplett remixen zu lassen – von verschiedenen Musikern und mir selbst natürlich. Es wird noch mehr Videos geben. Und ich will schon mal langsam anfangen, am nächsten Album zu arbeiten. Mein neues Studio braucht auch viel Aufmerksamkeit. Ich plane gerade die ganzen Festival-Gigs im Sommer. Burning Man hoffentlich. Und Berge. Ich brauche jedes Jahr mindestens einmal einen Ort, an dem niemand ist. In der Wildnis kann man super reflektieren, Ideen sammeln und die eigene Mitte wiederfinden, falls man sie in dem ganzen Trubel verloren haben sollte. Das passiert oft schneller, als man denkt – und ohne dass man es merkt. / Rafael Da Cruz

Jan Blomqvist & Band – Tour 2016
31.03. Stuttgart, Wizemann
01.04. Zürich, Hive Club (CH)
02.04. Frankfurt/Main, Zoom
04.04. Heidelberg, Halle 02 Club
05.04. Köln, CBE
07.04. Zermatt, Zermatt Unplugged (Vocal-DJ-Team) (CH)
09.04. Zermatt, Zermatt Unplugged (CH)
12.04. Leipzig, Täubchental
13.04. Erlangen, E-Werk Club
14.04. München, Ampere
15.04. Essen, Zeche Carl
16.04. Dresden, Scheune
22.04. Hamburg, Übel & Gefährlich
23.04. Paris, Zig Zag (FR)
29.04. Berlin, Columbiatheater

Aus dem FAZEmag 049/03.2016

Foto: Christian Dammann