Die Spätherbstsonne scheint enorm freundlich vom Himmel, als sich der Verfasser dieses Artikel motiviert aufmacht, um sich noch einmal vor Redaktionsschluss ins alte Frage-Antwort-Spiel zu werfen. Denn das erfreut sich auch in Technojournalistenkreisen nach wie vor großer Beliebtheit. Joseph Capriati soll dieses Mal derjenige sein, auf den in friedlicher Absicht und auch nur dreißig Minuten lang die Mündung des Diktafons zu richten ist, während dazu in hoffentlich ähnlich flüssiger Form wie bei einem Tennis- oder Tischtennisturnier die Sätze mit Fragezeichen und die Sätze mit Punkt oder Ausrufezeichen am Ende durch den Raum sausen werden.
Freudiger Anlass und garantierter Aufhänger des mittäglichen Termins ist das neue Album des Italieners, das jetzt vom schwedischen Technotraditionsunternehmen Drumcode auf den Markt gebracht wird. Bevor der Schreiber sich aus den heimischen vier Wände hinaus in die laute Stadt begeben hat, wurde er von der Redaktion im fernen Köln und von der netten Dame der Promotionagentur im fernen England mit nützlichem und nicht ganz so nützlichem Hintergrundwissen versorgt. Etwa, dass die neue Platte von Capriati „Self Portrait“ heißt und dass der Künstler selbst Interviews von Angesicht zu Angesicht bevorzugt, statt per elektronischem Postverkehr. Zeitpunkt und Treffpunkt für das Gespräch mit ihm wurden zuvor festgelegt. Ebenso gab es die Mobilfunknummer seines Managers, für den Fall, dass man zu spät kommen würde. Und dann steht der Autor plötzlich im Hinterhof eines Hauses irgendwo in der tatsächlich so benannten Axel-Springer-Straße in Berlin und sieht sich erst einmal ratlos um. Nach einem Gespräch mit einer ziemlich misstrauischen älteren Dame, die schon „seit 30 Jahren hier wohnt“ und nach einem viel hilfreicheren Telefonat mit eben jenem Manager von Joseph Capriati, führt dieser einen schließlich in eine geräumige Wohnung im Hinterhaus. Der sehr freundliche Mann bietet Kaffee und Wasser und einen Platz auf der gemütlichen Couch an. Und nach ein wenig Smalltalk betritt dann auch der Künstler, um den es hier gehen soll, das Zimmer. Den üblichen Infotext zu seinem neuen Album hatte man studiert, ein wenig zusätzlich im Netz recherchiert, natürlich die Musik angehört und sich irgendwann vorbereitet genug gefühlt, ein paar Fragen auf einen Zettel zu schreiben. Der wird dann aber, wie so oft, während des Interviews keines Blickes gewürdigt. Lieber dem Produzenten und DJ in die Augen schauen und in der folgenden Minuten keine unangenehmen Pausen entstehen lassen. Joseph Capriati erweist sich im Verlauf des Gesprächs als angenehmer Typ, der bereitwillig Auskunft gibt, sich selbst auch mal kritisch betrachtet und auf sein noch junges Alter verweist.
Seit seinem letzten Album „Save My Soul“, das gleichzeitig auch sein erstes war und vor drei Jahren erschien, sei er erfahrener geworden und mit der Sache gewachsen, resümiert er. „Damals habe ich noch eher darauf geschaut, welcher Sound gerade erfolgreich ist und in diese Richtung produziert. Heute ist es mir wichtig, etwas aus Leidenschaft zu machen und nicht bloß, weil etwas momentan im Trend liegt.“ Oder anders ausgedrückt: „No fashion, but passion.“ Eine solche Offenheit würde manch anderem Interpreten im Business vermutlich auch ab und an ganz gut zu Gesichte stehen. Im Vergleich zu „Save My Soul“ ist „Self Portrait“ nun um einige Nuancen düsterer und atmosphärischer geraten. Capriati möchte sich jedoch ungern von Erwartungshaltungen und stilistischen Grenzen, also von allem, was die spezielle Gattung Purist ausmacht, einengen lassen. Der Opener „Electrolytic“ ist ein gutes Beispiel dafür. Ein finsterer Geselle von einem Track, der deutliche Industrialeinflüsse inne hat. „Ich hätte auf diesem Album noch viel mehr solche Stücke unterbringen können, wollte es mir dann aber für die nächsten Platten aufsparen. Vielleicht produziere ich bald sogar ein komplettes Electronica-Album unter anderem Namen.“ Vor gar nicht allzu langer Zeit war Joseph Capriati aber noch im Deephouse unterwegs. Der Sound von Städten wie New York oder Chicago lag ihm damals näher, als der von beispielsweise Berlin. Und auch sein Heimatland Italien war damals noch viel housiger eingestellt. „Als ich dann Techno hörte, hat dieser mich sofort fasziniert. Das war Musik, die keinen Gesang benötigte, die aber trotzdem eine Aussage hatte.“ In seiner Stadt Neapel war es für ihn anfangs schwierig, an technoide Vinylveröffentlichungen heranzukommen, da kein entsprechender Plattenladen vor Ort zu finden war und es in seinem Elternhaus keinen Internetzugang gab, der es ihm ermöglicht hätte, online zu bestellen. Dennoch hat die dichtbevölkerte süditalienische Metropole natürlich schon eine längere Technotradition vorzuweisen. Man denke nur an Acts wie Gaetano Parisio, Rino Cerrone oder Marco Carola, die schon in den 90er-Jahren kräftig in der internationalen Szene mitgemischt haben. „Heute ist dann sogar von ‚Tech-Naples‘ die Rede“, berichtet Capriati sichtlich amüsiert und erzählt davon, wie noch vor wenigen Jahren die einheimischen Clubber ihm nahelegten, nicht so heftig zu spielen. Freimütig gesteht er auch, dass er früher in nicht wirklich tollen Clubs aufgelegt hat. Mittlerweile sieht man ihn aber meist in authentischeren Technotempel hinter den Decks. Gerade das Berghain und die Gigs dort haben ihn stark beeinflusst. „Berghain kann dein Leben verändern“, fasst er die Erfahrung zusammen. „Als ich zum ersten Mal dort aufgelegt habe und dann morgens um zehn den Club verlassen und zum Flughafen wollte, wurde ich gefragt: Warum gehst du, die Party fängt doch jetzt erst an?“ Andererseits konnte man Joseph Capriati auch schon einige Male auf Ibiza hören. Auf Einladung von erwähntem Marco Carola hin spielte er im vergangenen Jahr bei dessen „Music On“-Veranstaltungen im Amnesia.
Und er machte seinen Job dort anscheinend so gut, dass er in diesem Jahr gleich als Resident wieder mit von der Partie sein durfte. „Marco riet mir, meinen typischen Sound zu spielen. Denn natürlich wäre es Unsinn gewesen, auch auf dem Floor, auf den ich gebucht war, Techhouse zu bringen. Dann würden die Leute alle auf die Terrasse gehen, wo Marco genau diesen Sound auflegt und wo er auch besser hinpasst. Auf Ibiza spielt man aber grundsätzlich schon etwas anders, als etwa in Technoclubs. Man passt sich dem Klima der Insel an.“ Weniger gefällt Joseph Capriati hingegen, die – besonders auf Ibiza – verbreitete Einstellung von DJs, viele Drogen und viel Alkohol in den Vordergrund zu stellen, anstatt sich auf das Set zu konzentrieren. Schließlich, so Capriati, werde man für seine Musik gebucht und bezahlt. Mit den, besonders im World Wide Web inflationär verbreiteten „Hatern“, die alles schlecht finden und schlecht reden müssen, kann er ebenso wenig anfangen. „Mir ist es eigentlich derjenige lieber, der mir konstruktive Kritik entgegenbringt, als jemand, der mir, nur weil er gerade auf Ecstasy ist, sagt, dass ich für ihn die Nummer Eins bin.“ Über 125 Gigs hat Joseph Capriati in diesem Jahr absolviert, darunter ein Berghain-würdiges 12-Stunden-Set in Neapel und so mancher Großrave. Auf Adam Beyers Label Drumcode hat er als Produzent die richtige Adresse gefunden und fühlt sich dort sehr gut aufgehoben. „Früher war Drumcode ein Undergroundlabel, heute will dort jeder releasen. Manche Künstler wenden sich ja, sobald sie plötzlich erfolgreich sind, von den Labels ab, die sie groß gemacht haben. Das würde ich nie tun.“ Ein eigenes Label zu betreiben kommt für ihn erst einmal nicht in Frage. „Dafür fehlt mir einfach die Zeit“. In diesem Moment macht die Zeitanzeige auf dem Diktafon klar, dass die halbe Stunde um ist. Thank you for the interview. Have a nice day.
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www.josephcapriati.com