Es sind einige lange, lange Winter ins Land gegangen und niemand wusste, wie viele noch folgen würden. Nun holen uns die Junior Boys mit einem neuen Album verfrüht aus dem mummeligen Winterschlaf, während wir ins fahle Februarlicht blinzeln. Doch sie tun dies nicht etwa, um einen frühreifen Frühling einzuläuten, sondern um die kalte Jahreszeit innig zu umarmen. Während andere auf die ersten Krokusse, die Heimkehr der Zugvögel, auf das erste Eis und den befreienden Moment hinleben, in dem sie sich endlich die 20 Lagen Klamotten vom Körper reißen können, hüllen sich Jeremy Greenspan und Matt Didemus mit ihrem neuen kreativen Output ins weiße Kleid des Winters, das für sie ein großer schwarzer Mantel ist. Mit der druckfrischen Platte „Big Black Coat“ erneuert sich die Band durch den fünfjährigen Winter ihrer eigenen Geschichte. Jene ist das erste Release des Duos seit „It’s All True“ – und gleichzeitig das erste beim Berliner Label City Slang, auf dem die Platte am 5. Februar erschienen ist. Es is eine Art Reset für die 1999 gegründete Band, die zuvor gemeinsam vier atmosphärisch dichte Longplayer irgendwo zwischen R&B, Techno und Pop veröffentlichte.
Die elf neuen Tracks brechen die Musik des Duos wie Prismen das Licht und bündeln sie zu einem Gesamtwerk so klar wie ein Eiskristall. Gar nicht frostig ist es, wie dabei die Liebe zum Techno und die Lust auf Pop und Disco verschmelzen, aufgeheizt von dem, was die Kanadier in den letzten fünf Jahren solo gemacht haben. Jeremy in ihrer gemeinsamen Heimatstadt Hamilton, Ontario, wo er eine Bar besitzt und sein Studio hat, und Matt mittlerweile in Berlin.
Jeremy veröffentlichte zwei Solo-Singles und eine kollaborative EP auf Jiaolong, dem Label seines alten Freundes Dan Snaith aka Caribou, und schrieb mit an Jessy Lanzas 2013 gefeiertem Album „Pull My Hair Back“, das er auch mitproduzierte. Matt veröffentlichte derweil ebenfalls Solo-Tracks unter dem Namen Diva und startete sein eigenes Label Obsession. Der Fokus beider Junior Boys verschob sich in dieser Zeit radikal und formte entscheidend die Entstehung von „Big Black Coat“, dessen Namensgeber eigentlich grau ist: „Ich hatte einen großen grauen Mantel gekauft, aber ‚big black coat’ zu singen, klang einfach besser. Für mich fasste das wirklich alles zusammen, was ich dachte, als ich das Album machte, daher sollte es der Titel werden“, erzählt Jeremy. Der siebenminütige Titeltrack setzt auch das zunächst kühle und dann immer wärmere Setting der gesamten Platte, wobei der Mantel auch als Soundelement auftaucht, als konzeptuell ausschlaggebender Percussion-Sound eines modularen Synthesizers, über den Jeremy sagt: „Für mich klingt das wie das Rauschen von Stoff.“
Was er sonst noch zu dem neuen Album, zu Erwartungen, Melancholie und den letzten Jahren zu erzählen hat, lest ihr hier im Interview mit Jeremy Greenspan von den Junior Boys.
Fünf Jahre nach „It’s All True” seid ihr mit eurem neuen Album „Big Black Coat” zurück. Wusstet ihr, dass das passieren würde?
Wir hatten keinen richtigen Plan am Ende des letzten Albums, aber ich denke, wir brauchten beide etwas Zeit, um andere Sachen zu machen.
Jeremy, du hast gesagt, die Solosachen haben dich zurück zu Junior Boys gebracht, mit dem Spirit des Anfangs, mit einer anderen Perspektive. Was meinst du damit genau?
Ich denke, es war wichtig, die Solo-Sachen zu machen, weil die mich dazu zurückgebracht haben, ausdrücklich Tanzmusik zu machen, was mir wiederum erlaubt hat, Musik zu machen, ohne mir Sorgen übers Songwriting machen zu müssen. Das hat das Album beeinflusst, denn das eigentliche Schreiben des Albums war gar nicht so sehr Songwriting, sondern es ging mehr als bei den letzten Alben darum, Loops und Stimmungen zu kreieren. Noch mehr als meine Solo-Sachen hat die Arbeit mit Jessy Lanza die neue Platte stark beeinflusst. Sie hat mich dazu bewegt, auf unterschiedliche Weise über das Produzieren zu denken. Das hat eine Frische in alles gebracht, was ich gemacht habe.
Wie hat das denn eure Produktionsweise bei dem neuen Album beeinflusst, für das ihr ja komplett konzeptlos bleiben wolltet?
Das Album ist schnell entstanden, ohne vorgefasste Vorstellungen davon, wie es sein sollte – mit der einzigen Ausnahme, dass wir uns darauf fokussierten, uns nicht zu wiederholen und kreativ zu sein.
Du hast uns gesagt, dass der Umstand, dass ihr so lange kein Album rausgebracht habt und euch nicht jeder kennt, befreiend wirke. Viele würden euch mit „Big Black Coat“ das erste Mal hören. Aber was ist mit den Erwartungen derer, bei denen das nicht so ist? Wie kommt ihr mit den Erwartungen anderer, jetzt nach fünf Jahren seit dem letzten Album, zurecht?
Ich neige dazu, mich immer weniger darum zu kümmern. Ich freue mich natürlich sehr, wenn die Leute den Kram mögen, aber ich denke nicht so viel darüber nach. Ich lebe sozusagen in einer in vieler Hinsicht isolierten Stadt. Ich habe keinen großen Eindruck davon, wie meine Musik wahrgenommen wird. Ich minimiere es auch, Meinungen ausgesetzt zu sein, indem ich nicht viele Reviews lese oder diese bei Google suche und so weiter.
Was erwartest du von dir selbst, bezogen auf den kreativen Output? Versuchst du, diese Erwartungen zu ignorieren, sie zu erfüllen oder gar nichts von dir zu erwarten?
Ich erwarte von mir, mit der Zeit ein besserer Produzent zu werden. Ich versuche sicherzugehen, dass die einzigen Begrenzungen die selbst auferlegten sind.
Welche Eigenschaften schätzt du denn an Matt?
Als Mensch oder Produzent? Als Produzent, denke ich, ist er ein außerordentlicher Drum-Programmer und großartig darin, Atmosphären in Tracks zu erschaffen. Als Mensch ist er ein super Koch und netter Typ.
Du hast über deine Heimatstadt gesagt: „Ich liebe Hamilton – es ist eine großartige Stadt –, aber wenn man da lebt, dann begegnet einem etwas durch und durch Bedrückendes jedes Mal, wenn man zu Fuß geht. Das Level der Traurigkeit um einen herum ist inspirierend, aber in einer eigenartigen Art und Weise.“ Dein Alltag findet hier statt, du bist Teil dieser Stadt. Fühlst du dich auch als Teil dieser Traurigkeit oder wie versuchst du zu vermeiden, dass dich die Atmosphäre runterzieht?
Ich denke, man muss auf eine gewisse Düsterkeit stehen. Es muss einen ansprechen, an einem solchen Ort zu leben. Man muss auch das Gefühl der kulturellen Isolation mögen. Es ist nicht etwa, dass die Leute in Hamilton nicht kreativ wären, aber sie interessieren sich in besonderem Maße nicht für Trends in Kunst und Kultur wie möglicherweise andere Leute in einer großen Stadt.
Welcher Ort ist deiner Meinung nach noch so ein „Ort tiefer menschlicher Traurigkeit“, als den du Hamilton bezeichnest?
Hahaha, ich vermittle nicht gerade ein tolles Bild meiner Stadt. Ich denke, alle Rostgürtel-Städte (Städte mit früher großer, jetzt schwindender Stahlindustrie, Anmerkung d. Redaktion) sind gewissermaßen ähnlich. Ich fühle eine große Affinität für mittelgroße kalte Städte. Es gibt einen Film von Guy Maddin namens „My Winnipeg“. Ich liebe diesen Streifen – ich denke, er könnte auch „My Hamilton“, „My Buffalo“, „My Detroit“ oder „My Cleveland“ heißen. All diese mittelgroßen Städte vermitteln ein ähnliches Feeling.
Apropos Traurigkeit. Kürzlich ist ja David Bowie gestorben …
Auch wenn ich nicht so viel Bowie höre, haben mich Leute enorm beeinflusst, die ihrerseits von ihm sehr stark beeinflusst wurden. Bands wie YMO, Japan, Ultravox und so weiter hätten ohne Bowie (und Roxy Music) nie existiert.
Ihr seid ab Mitte Februar auf Tour. Worauf freust du dich besonders? Nach Deutschland kommt ihr ja dann auch bald!
Ich freue mich drauf, mich in Kalifornien aufzuwärmen. Und Deutschland wird auch gut, ich liebe deutsches Essen (kein Scherz).
Nimmst du deinen großen Mantel mit?
Ja, natürlich.
„Big Black Coat” soll eine Hommage an Hamilton sein, besonders an Hamilton im Winter – aber auch an die Liebe?
Es geht um Leute, die mit ihrem komplexen Gefühlsleben klarzukommen versuchen, die aber dafür die Worte nicht haben. Liebe, die sich in Abneigung, die sich in Traurigkeit wandelt usw.
Du hast erzählt, dass der Percussion-Sound in dem Titeltrack „Big Black Coat“ für dich klingt wie das Rascheln von Stoff. Welche Alltagsgeräusche magst du?
Hm. Ich mag viele Alltagsgeräusche. Ich rede zwar immer vom Winter, aber eigentlich liebe ich Sommergeräusche mehr. Grillen, Zikaden, der Wind in den Bäumen … all dieser „happy shit“.
Wie erlebst du den Winter? Hat sich das im Laufe der Zeit geändert?
Ich genieße diesen Winter sehr. Ich denke, wenn ich etwas Geld verdiene dieses Jahr, dann würde ich mir gerne einen Holzofen kaufen. Feuer ist beruhigend …
Was hält dich warm, wenn es kalt ist?
Meine Freunde, meine Familie und meine Katzen.
Was ist dein Lieblingstextil? Speziell für einen Mantel …
Ich kann einen Stoff vom anderen nicht unterscheiden.
Danke für das Interview / Csilla Letay
Junior Boys Tourdaten Deutschland:
24.02.2016 Hamburg – Uebel & Gefährlich
25.02.2016 Berlin – Berghain
03.03.2016 Köln – Gewölbe
Aus dem FAZEmag 048/02.2016
Foto: Tom Weatherill