Das Wort „Maschine“ trägt er nicht nur im Namen: Tino Piontek alias Purple Disco Machine ist selbst eine. Jüngst ist endlich sein langersehntes zweites Studioalbum „Exotica“ erschienen, das er in den vergangenen Monaten immer wieder mit Vorab-Krachern wie „Fireworks“, „Dopamine“ oder natürlich „Hypnotized“ anteaserte. Letzteres, mehrfach mit Platin ausgezeichnetes Stück wurde allein auf Spotify bereits 200 Millionen Mal gehört und ist schon jetzt einer DER elektronischen Pop-Hits der vergangenen Jahre. Verdient ist das allemal, denn Pionteks Formkurve steigt seit seinem 2013er-Beatport-Kracher „My House“ konsequent nach oben. Spätestens seit seinem Debütalbum „Soulmatic“ aus dem Jahr 2017 ist klar, dass hier ein neuer Stern am Deep-House-Himmel aufgeht. Mit dem Release von „Exotica“ am 15. Oktober hat dieser Stern alias Purple Disco Machine nun seinen bisherigen Zenit erreicht. Für unser großes November-Cover-Interview haben wir mit dem gebürtigen Dresdner über das Album und seinen Werdegang gesprochen. Und obwohl er ja eine Maschine ist, zeigte sich Piontek im Gespräch mit uns angenehm menschlich und bodenständig. Viel Spaß beim Lesen.
Hallo, Tino. Schön, dich bei uns zu haben. Du befindest dich ja aktuell auf Tour. Es muss großartig sein, endlich wieder vor voller Hütte zu spielen. Erzähl uns doch etwas über deine derzeitigen Gigs und wie du sie erlebst.
Ich muss sagen: Auch wenn wir uns rund anderthalb Jahre gedulden mussten, ging das Ganze jetzt irgendwie schneller als erwartet. Man liest ja oft, dass es eine Weile brauchen würde, bis die Normalität nicht nur zurück auf die Bühne kehrt, sondern auch in die Köpfe der Menschen, aber tatsächlich fühlt sich das Feiern genauso an wie vor der Pandemie. Die Menschen freuen sich und die Stimmung ist großartig, was natürlich auch auf meine Gemütslage abfärbt. Nach einigen Gigs in Großbritannien steht nun auch endlich die USA-Tour an, auf die ich mich sehr freue.
Zuvor stand aber noch ein Heimspiel auf der Agenda. Am 3. Oktober warst du als Highlight-Act beim Dresdner Stadtfest zu Gast. Da wurden doch sicher große Emotionen ausgelöst, oder?
Zugegeben: Ich bin eher mit gemischten Gefühlen an die Sache herangegangen. Auf der einen Seite habe ich mich natürlich gefreut, in meiner Heimatstadt vor all meinen Freund*innen und meiner Familie aufzutreten – sogar meine über 80-jährigen Großeltern waren da! Aber auf der anderen Seite hatte mir genau das auch Sorgen bereitet, denn man steht eben noch mehr im Fokus als sonst – Stichwort Nervosität. Bei anderen nationalen und internationalen Auftritten werde ich zwar auch als Headliner gebucht, allerdings habe ich in fremden Städten schlichtweg weniger Schiss, etwas zu vermasseln. In Dresden kennen mich schließlich viele Menschen und daher wäre es mir deutlich unangenehmer, Fehler zu machen. Letztlich ist beim Stadtfest aber alles gut verlaufen und es war ein großartiger Abend.
Das klingt erfrischend menschlich. Normalerweise ist man von populären Künstler*innen ja die pure Abgezocktheit gewohnt …
Ja, ich bin tatsächlich immer noch aufgeregt vor vielen Gigs. Das kommt aber wie gesagt immer darauf an, wo ich spiele. Je weiter ich von zu Hause weg bin, desto sicherer fühle ich mich witzigerweise. Wenn ich versage, dann möchte das im besten Fall an einem Ort tun, wo ich gegebenenfalls nie wieder hin muss und nicht in der Heimat, wo mich jeder kennt. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich bisher nur sehr selten in Dresden gespielt habe.
Vom Namen her genießt du dort sicher einen sehr hohen Bekanntheitsgrad. Aber wirst du auch häufig auf der Straße erkannt?
Man realisiert es schon, wenn einen die Leute erkennen und anschauen, aber angesprochen werde ich tatsächlich relativ selten. Meist geben die Menschen mir dann positives Feedback zu meiner Musik oder fragen nach einem Autogramm. Über solche Momente freue ich mich natürlich sehr. Seit Tracks wie „Hypnotized“ und „Fireworks“ werde ich auf jeden Fall häufiger wahrgenommen, das war vorher noch anders.
„Vorher“ ist ein gutes Stichwort. Sprechen wir doch über deine Anfänge als DJ. Vielleicht willst du einfach mal ein wenig aus dem Nähkästchen plaudern und erzählen, wie damals alles angefangen hat.
Ich habe damals ganz klassisch als DJ auf Schulpartys, Partys von Freunden und Geburtstagen angefangen. Das Auflegen hat mir recht schnell große Freude bereitet und so sind dann auch meine ersten Mixtapes entstanden. Mich mit meinem housigen Sound in Dresden zu etablieren, war anfangs allerdings keine leichte Aufgabe, denn der Sound der Stadt war stark von Berlin – sprich: Techno und Minimal – geprägt. Eine echte House-Szene gab es vorerst nicht. Anfang der 2000er ist dann die French-House- und Nu-Disco-Welle nach Deutschland übergeschwappt, wodurch sich für mich mehr Möglichkeiten ergaben. Es folgten Club-Gigs, erste Residencies und auch meine ersten eigenen Produktionen, was mir dann auch Auftritte außerhalb Dresdens bescherte.
Angefangen zu produzieren hast du damals noch unter dem Pseudonym Stereofunk. Wie sah dein Setup damals aus?
Mein Setup war äußerst rudimentär, da die Möglichkeiten früher logischerweise noch weitaus begrenzter waren. Erste Erfahrungen habe ich mit Fruity Loops und Magix Music Maker gemacht, meine erste physische Anschaffung war dann ein Korg-Electribe-Synthesizer.
Mitte der 2000er-Jahre hast du dann dein eigenes Gewerbe bzw. Label gegründet und den Fokus quasi vollends auf das Produzieren gerichtet. Doch der Erfolg blieb zunächst aus. Woran lag das?
Ich glaube, der Zeitpunkt war einfach unglücklich von mir gewählt. Ab Mitte der 2000er wurde die physische Distribution immer mehr von digitalen Releases verdrängt und gleichzeitig machte sich EDM im elektronischen Sektor breit, wodurch die klassische House-Musik ganz schön schlechte Karten hatte. Um zu überleben, sprang ich vorerst auf den EDM-Hypetrain auf und produzierte Musik, die eigentlich gar nicht meiner Vorliebe entsprach. Lange vereinen konnte ich das aber nicht mit mir, also hing ich Stereofunk an den Nagel und übte zunächst einen regulären Beruf aus.
Anschließend folgte – zunächst nur als Hobbyprojekt – die Rückkehr zu deinen musikalischen Wurzeln und die Geburt von Purple Disco Machine …
Richtig. Ich wollte meine Stereofunk-Historie begraben, einen Neuanfang wagen und einfach nur die Musik machen, auf die ich Bock hatte, ganz egal, ob ich damit nun erfolgreich war oder nicht.
Ein Kontrast zum damals vorherrschenden EDM quasi, in dem es ja oft primär um Show, Berühmtheit und Kommerz geht. Was denkst du über das Genre?
Auch wenn mich EDM musikalisch nicht anspricht, musste ich irgendwann feststellen, dass das Genre einen großen Beitrag für die DJ-Kultur und die Wahrnehmung von elektronischer Musik im Allgemeinen geleistet hat. David Guetta, Calvin Harris und Co. haben es quasi geschafft, elektronische Musik radio- und massentauglich zu machen, wovon natürlich letztlich auch ich profitiere. Das ist eine große Errungenschaft, wird aber selbstverständlich auch kritisch beäugt, was ich ebenfalls nachvollziehen kann. Ein schwieriges Thema.
Mit deinem Deep-House-Sound konntest du dann relativ rasch eine Nische in der elektronischen Musiklandschaft finden. Vor allem international hattest du schnell an Popularität gewonnen, in Deutschland hingegen stotterte die Purple Disco Machine noch dezent. Eine Ahnung, wieso?
Tja, das frage ich mich seit zehn Jahren … (lacht). Dieses Phänomen habe ich tatsächlich recht schnell erkannt. Gerade anhand meiner Social-Media-Präsenz merkte ich schnell, dass der Prozentsatz der deutschen Fans schwindend gering war und der Großteil meiner Anhänger*innen aus Südamerika oder anderen europäischen Ländern stammte. Der Grund dafür ist simpel wie einleuchtend: House-Musik genießt in Deutschland einfach nicht die gleiche Priorität wie andere elektronische Genres. Nicht zuletzt hat die Techno-Kultur hier ihren Ursprung, wodurch Deutschland nach wie vor stark davon geprägt ist.
Kommen wir noch einmal auf die elendige Corona-Pandemie zu sprechen. Viele Künstler*innen beklagen zwar die fehlenden Auftritte, können der Krise aber auch positive Aspekte abgewinnen. Wie siehst du das?
Das sehe ich ebenfalls so. Vor allem den fehlenden Zeitdruck während der Krise empfand ich als sehr angenehm. Im Normalfall hatte ich zwischen den Touren immer ein sehr enges Zeitfenster, um Musik zu produzieren und Zeit mit meinen Liebsten zu verbringen. Durch den Wegfall von Gigs konnte ich mich im Studio viel unbeschwerter ausleben, ohne in Gedanken ständig beim nächsten Auftritt zu sein. Doch auch ich habe irgendwann gemerkt, dass etwas fehlt. Der Streaming-Boom hat sicherlich eine lukrative Abhilfe geschaffen, aber so richtig begeistert war ich davon nie. Das Feedback, wenn man live vor Publikum spielt, habe ich einfach vermisst. Man macht ja keine Musik, um sie in leeren Clubs bei einem Streaming-Event zu spielen. Ich bin froh, dass es jetzt wieder losgeht.
Von der zeitlichen Flexibilität hat dann ja wahrscheinlich auch „Exotica“ profitiert, oder?
Viele der Tracks sind zwar schon vor dem Lockdown entstanden, aber ich konnte diese Zeit ausgiebig nutzen, um einige der Stücke nochmal zu überarbeiten oder mich mit anderen Künstler*innen zu beraten. Man kann also schon behaupten, dass der Lockdown einen positiven Einfluss auf das Album hatte, einfach, weil nochmal neue und ausgereiftere Ideen entstanden sind.
Sprechen wir doch direkt mal über diese neuen Ideen. Wo finden wir auf dem Album den klassischen Purple-Disco-Machine-Sound und an welchen Stellen machen sich die erwähnten Innovationen bzw. Experimente bemerkbar?
Gerade die Club-Tracks, also beispielsweise „Playbox“ oder „Exotica“, sind typische Purple-Disco-Machine-Songs. Ich komme ja auch aus dem Club-Segment und deshalb habe ich diese Stücke so produziert, wie ich sie auch als DJ spielen würde. „Hypnotized“ oder „Fireworks“ hingegen haben zwar auch den gewohnten PDM-Charme, läuten gleichzeitig aber auch eine neue Ära ein, die ihr Hauptaugenmerk nicht zu 100 Prozent auf den Dancefloor richtet. Diese Stücke sind vergleichsweise poppiger und radiotauglicher, wohinter aber keinesfalls eine wirtschaftliche Intention steht, sondern vielmehr mein Wunsch, ein Album mit einer großen musikalischen Bandbreite zu veröffentlichen.
Hast du einen persönlichen Favoriten auf dem Album?
Einer meiner Favoriten ist „At The Disko“ (feat. Lorenz Rhode). Zum einen, weil man in dem Track meine Daft-Punk-Einflüsse erkennen kann – gerade ihr Debütalbum „Homework“ (1997) hat mich damals stark inspiriert und begleitet mich noch heute – und zum anderen, weil er eine Brücke zwischen dem alten und dem neuen PDM-Sound schlägt.
Kommen wir zu den Features auf dem Album. Nach welchen Kriterien hast du die Auswahl der Künstler*innen getroffen?
Wir hatten bereits ein, zwei Jahre vor der Entstehung von „Exotica“ eine Liste mit potenziellen Feature-Künstler*innen erstellt. Sowohl mein Management als auch ich warfen dann ein paar Namen in den Topf, von denen wir letztlich eine Auswahl zusammenstellten. Einige der Acts kannte ich vorher aber gar nicht, sodass ich mich zunächst mit ihnen beschäftigten musste. Dazu zählt beispielsweise Sophie and the Giants, von der ich sehr beeindruckt war. Ihre Stimme ist wirklich einzigartig und es war mir eine große Freude, mit ihr zu kooperieren. Generell finde ich es angenehmer, mit eher unbekannten bzw. jüngeren Acts zu kollaborieren, da es unkomplizierter ist und man ihnen den Spaß an der Arbeit einfach anmerkt.
Wonach entscheidet man eigentlich, welche Tracks eines Albums als Vorab-Singles releast werden? Hattet ihr da eine bestimmte Struktur im Kopf?
Noch vor Corona hatten wir uns damals zusammengesetzt, um zu schauen, welche Tracks bereits fertig sind und vorab releast werden können. Es war dann recht schnell klar, dass „Hypnotized“ die erste Single-Auskopplung sein soll, weil das Stück eben diese neue PDM-Ära einleitet. Dass wir uns also für einen eher poppigeren und weniger clubtauglichen Track entschieden haben, war definitiv kein Fehler. Kurz danach kam der erste Lockdown und an Feiern und Clubs war nicht mehr zu denken. Nichtsdestotrotz war das zweite Single-Release mit „Exotica“ dann eher wieder ein typischer PDM-Sound. Diese Abwechslung zwischen poppigen und clubbigen Nummern haben wir dann letztlich auch für die restlichen Vorab-Veröffentlichungen beibehalten.
Was steht in den kommenden Wochen und Monaten noch bei dir auf der Agenda? Gibt es spezielle Highlights, auf die du dich besonders freust?
Jetzt, wo das Album endlich draußen ist, bin ich natürlich in erster Linie auf das Feedback der Hörer*innen gespannt. Gleichzeitig freue ich mich aber auch auf die vielen Touren, die jetzt anstehen: USA, Mexiko und Südamerika. Ab Ende des Jahres wird es dann aber erstmal wieder ruhiger.
„Exotica“ von Purple Disco Machine ist seit dem 15. Oktober via Sony Music erhältlich.
Aus dem FAZEmag 117/11.21
Text: Milan Trame
Credit Foto 1: Dennis Dirksen
Credit Foto 2: Lutz Michen
www.purplediscomachine.com