Anne Lemcke – Gibt es ein Leben nach der Musik?

 

Anne und Stefan Lemcke

Wann warst du im Musikbusiness tätig und was hast du dort gemacht?

Angefangen hat alles 1999. Schon während meiner Abiturphase war mir klar, dass ich in der Musikindustrie arbeiten möchte. Welche Möglichkeiten es gab, dass wusste ich jedoch nicht. So bin ich, recht naiv, zur Bundesagentur für Arbeit gegangen und habe mich beraten lassen. Die Dame vor Ort war mit mir und meinen Vorstellungen dann doch etwas überfordert. „Sie wollen doch Sängerin werden!“ Nein, genau das wollte ich nicht. Sie hat mir dann eine Stelle als CD-Fachverkäuferin bei Saturn angeboten.

So musste ich das Ganze selber in die Hand nehmen und bin dann nach meinem Abi durch einen befreundeten DJ bei Dos Or Die Recordings in Krefeld gelandet. Von dort aus ging es für mich nach München zur BMG, bei der ich meine Ausbildung abgelegt habe. Danach folgte noch ZYX Music und ein Auslandsaufenthalt, bis ich schlussendlich bei Kontor Records in Hamburg an Bord ging. Kontor war für mich immer das absolute Nonplusultra. Es war mein Karrieretraum, irgendwann dort zu arbeiten und als Jens Thele mich dann eines Tages anrief und mir die Stelle als Head Of Promotion angeboten hat, ging dieser Traum für mich in Erfüllung.

Was genau machst du jetzt?

Jetzt mache ich tatsächlich etwas ganz anderes. Zusammen mit meinem Mann Stefan leite ich die Ankerkraut GmbH. Wir produzieren und vertrieben hochwertige Gewürzmischungen ohne Zusatzstoffe in einer hübschen Verpackung. Wir sind eines der schnellstwachsenden Food-Startups in Deutschland und beschäftigen aktuell 93 Mitarbeiter. Unsere Produkte vertreiben wir sowohl online als auch in mittlerweile 5000 Supermärkten plus Baumärkte usw. 2016 waren wir in der TV-Show „Die Höhle der Löwen“ und haben Frank Thelen als Investor gewinnen können. Ankerkraut hat ganz andere Herausforderrungen für mich, aber ich bin wahnsinnig glücklich und auch dankbar, noch einmal eine Aufgabe gefunden zu haben die mich so sehr ausfüllt.

Warum hast du beschlossen, diesem Business den Rücken zu kehren und was hast du aus dieser Zeit mitgenommen?

Irgendwann kam mein Mann auf die wahnwitzige Idee seine bisherige, erfolgreiche Selbstständigkeit zu beenden, um Gewürze zu verkaufen. Ich war, zugegebenermaßen, gar nicht glücklich mit dieser Entscheidung. Zu diesem Zeitpunkt wohnten wir bereits vor den Toren Hamburgs auf dem Land, hatten ein Kind und Baby Nummer Zwei war bereits unterwegs. Abends auf dem Sofa hat Stefan mir dann von Pfeffer-Rohstoffpreisen und Verpackungsideen erzählt, während ich ihm aus dem Alltag bei Kontor berichten wollte. Da gab es irgendwie einen Gap. Er hatte kein Verständnis für das, was ich mache und ich konnte nicht nachvollziehen, womit er sich den ganzen Tag beschäftigt. Hinzu kam die furchtbare Situation Elbtunnel – welche wohl nur Hamburger nachvollziehen können. Jeden Tag aufs Neue war es nie sicher, wie lange ich ins Büro brauchen würde. Zwischen 40 Minuten und drei Stunden war alles möglich. Wenn es nur um einen selber geht, ist das okay und etwas, was man in Kauf nehmen kann. Wenn man jedoch Kinder hat und diese pünktlich aus der Kita abgeholt werden wollen, dann ist das wirklich ein großer Stressfaktor. Daher haben wir dann alles auf eine Karte gesetzt und ich habe schweren Herzens meinen Job bei Kontor aufgegeben.

Gibt es eine besonders kuriose/schöne/schlimme Anekdote aus dieser Zeit?

Wo fange ich an, wo höre ich auf? Es sind so viele Geschichten passiert. Ganz am Anfang, bei der BMG in München, habe ich eine Boyband betreut. Man kann sich nicht vorstellen, was Teenager-Mädchen sich alles einfallen lassen, nur um in der nähre von fünf amerikanischen Jungs zu sein. Bei ZYX habe ich als A&R gearbeitet. Das war wirklich sehr spannend, da ich quasi auf einen riesigen Backkatalog mit Klassikern zurückgreifen konnte. So haben wir zum Beispiel eine Neuauflage von Tom Wilsons „Techno Cat“ anfertigen lassen. Tom war selber involviert, ist dann allerdings leider sehr kurz nach der VÖ verstorben. Bei Kontor Records war ich als Head Of Promotion letztendlich für alle Kontor-Acts zuständig. Mit DJ Antoine hatte ich, rund um die VÖ von „Welcome To St Tropez“, eine Wette um einen Diamantring. Ich habe die Wette gewonnen und er hat mir den Ring überlassen. Diesen haben wir dann gemeinschaftlich gespendet. Die meiste Zeit habe ich wohl mit Scooter verbracht. Ich durfte so viele lustige, kuriose, tolle Dinge erleben … danke H.P. ❤

Gibt es bis heute noch bestehende Berührungspunkte mit dem Musikbusiness?

Absolut. Insbesondere zu meinen Kollegen von Kontor. Jens Thele hat es geschafft, dass das Kollegium eine Familie ist. Ich war Teil dieser tollen Familie und auch heute, Jahre später, treffen wir uns noch oder ich besuche sie im Büro und verteile Gewürze. Aber auch zu einigen Künstlern besteht nach wie vor Kontakt. ATB beipielsweise schickt mir regelmäßig Bilder von unseren Gewürzmischungen, wenn er sie irgendwo im Supermarkt findet. Über diese Art des Kontaktes und natürlich die Wertschätzung dahinter freue ich mich sehr.

Gibt es irgendwas, was du aus heutiger Sicht anders machen würdest? 

Ehrlich? Nein! Ich hätte niemals erwartet, dass es noch mal eine berufliche Aufgabe, gibt die mich so sehr erfüllt. Ich bin unendlich dankbar, dass ich diese Erfahrung nicht nur ein Mal, sondern zwei Mal machen durfte.

 

Aus dem FAZEmag 089/07.2019
Text: Tassilo Dicke
Foto: Michaela Kuhn
www.facebook.com/ankerkraut

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