Dimitri Hegemann – über Corona, Clubs und Crowdfunding

Welche drei Stichwörter fallen einem zu „Dimitri Hegemann“ ein? Jeder, der im technoiden Nightlife arbeitet, wird wohl sagen: Tresor – Berlin – Kult. Der Gründer der legendären Musik-Institution ist seit knapp 40 Jahren in der Branche. Er kennt die Tücken, die Risiken, die Erfolgswellen, die Höhen und die Tiefen. Doch das Erdbeben, das gerade die ganze Clublandschaft erschüttert, ist auch für den studierten Musikwissenschaftler a) Neuland und b) ein Zustand, mit dem er nie gerechnet hätte. Der Beschluss der Regierung, allen Großveranstaltungen einen kompletten Shutdown bis zum 31. August 2020 zu verordnen, ist eine unvorhersehbare Hiobsbotschaft. Wir haben uns mit dem Mann unterhalten, der hinter Tresor und Tresor.West steht und die Szene im „Dicken B“ geprägt hat wie kaum ein anderer: Dimitri Hegemann.


Wann wurde euch das Ausmaß der Situation bewusst? Und: Hättet ihr euch deutlichere Signale seitens der Deutschen Bundesregierung gewünscht?

Wir hatten eine Versammlung von rund 20 bis 30 Clubbetreibern in Berlin. Ich glaube das war am 10. März. Dort hieß es, dass das Ganze wohl am 20. April vorbei sein wird. Absurd war, dass wir am 13. März eigentlich unseren 29. Geburtstag feiern wollten. Das Line-up war auch fantastisch, die Türen allerdings waren dicht. Irgendwie dachten wir: Es muss doch weitergehen.

Bezogen auf die Ausgangsbeschränkungen bzw. das Kontaktverbot: Mit welchem Zeitraum habt geplant?

Wie gesagt, bis zum 20. April. Später wurde uns dann bewusst, dass das nicht klappt. Nach Absprache mit dem Team vermuteten wir stark, mit Blick nach China, dass die Clubs auch in drei Monaten wohl noch nicht wieder geöffnet haben werden. Wir gingen fest davon aus, dass erst die Fußballstadien öffnen dürfen – und irgendwann wir Clubs.

Als euch bewusst wurde, dass das Thema nicht so schnell vom Tisch ist: Wie seid ihr vorgegangen und was ging euch durch den Kopf?

Wir haben für das Team Kurzarbeit angemeldet. Es gab dann von der Club-Kommission in Berlin einen Chatroom, in dem man sich untereinander austauschen konnte. Zusätzlich wurde ja „United we stream“ ins Leben gerufen. Ich war auch begeistert vom Konzept und dem Engagement der Szene, muss jedoch in der Zwischenbilanz sagen, dass allenfalls vielleicht 3.000 Euro für einen Club hängen bleiben, wenn das Geld verteilt wird. Das ist für diese wahnsinnige Medienaufmerksamkeit nicht viel. Davon kann man nicht einmal eine Monatsmiete zahlen. Die öffentliche Wahrnehmung ist meistens die, dass die Clubs sich schon retten werden und ohnehin alle safe sind. Aber das ist falsch. Ich denke, da wurde nicht das richtige Signal geschickt.

Wie regierte euer Publikum schließlich darauf: Von Anfang an solidarisch oder gab es Probleme?

Das Publikum reagierte überaus verständnisvoll, da ja auch die Beschränkungen immer strenger wurden im Laufe der Zeit.

Was haltet ihr von den „Soforthilfen“? Wirkliche Hilfe oder nur ein Tropfen auf den heißen Stein?

Die Soforthilfen wurden sofort abgegriffen, dabei sickerte durch, dass sich auch viele Kriminelle einen Teil davon abgegriffen haben. Auf einmal gab es 200.000 Solo-Selbstständige in Berlin.

Wie solidarisierte sich die Szene?

Die Szene hat sich absolut vorbildlich verhalten und viel gespendet. Allerdings wissen wir bisher leider immer noch immer nicht, wann das Ganze vorbei sein wird. Selbst das Oktoberfest ist ja bereits abgesagt. Da in Clubs aber eng getanzt wird, dazu kenne ich die Nächte zu gut, wird auch bis dahin keine Party stattfinden können.

Wie steht ihr momentan da, könnt ihr bis Ende August ausharren?

Wir vom Tresor in Berlin schaffen das. Ich denke jedoch, viele Clubs schaffen das nicht. Zwar haben wir Rücklagen geschaffen, müssen jedoch in Voraus gehen, da wir bis jetzt noch nichts vom Kurzarbeitergeld gesehen haben. Es hat bisher wohl kein einziger Club Geld erhalten, wenn ich richtig informiert bin. Wir überlegen, ein Crowdfunding ins Leben zu rufen. Stay tuned.

Welche Rolle spielen die Streams?

Ist nett, ich bin allerdings etwas konservativ. Ich finde, es wurde alles kunterbunt gestreamt, was vielleicht im Nachhinein nicht so sinnvoll war. Das Kind hat im Endeffekt zwar Aufmerksamkeit, das Problem im Kern wurde allerdings nicht richtig und nachhaltig transportiert.

Finden wir nach der Krise eine unveränderte Partylandschaft vor oder was verändert sich für die Besucher?

Mit Sicherheit eine Veränderung! Die Leute haben ja kein Geld mehr. Ein Großteil der Besucher sind ja auch Touristen. Ich selbst würde auch derzeit in keinen Club gehen, und ehe kein Impfstoff gefunden ist, will ich das auch niemandem zumuten.

Was sollte die Gesellschaft aus eurer Sicht aus der Krise lernen?

Man hat gesehen, was wirklich zählt. Die Welt macht eine Pause, zumindest erlebe ich das hier auf dem Land so. Man hat endlich mal Zeit, darüber nachzudenken, ob all das, was man die letzten Jahre verfolgt hat, wirklich so notwendig war – oder kann man sich auch einen anderen Lebensstil aneignen? Ich finde, dafür dient diese Pause und dafür bin ich auch echt dankbar. Ebenso finde ich gut, dass man aus umweltwirtschaftlicher Sicht auch mal darüber nachdenkt, Konferenzen (beispielsweise auf Skype) abzuhalten. Grundsätzlich befürworte ich auch, dass man ein bis zwei Tage über Internet-Teaching in Schulen nachdenken sollte.

Was lernt ihr aus der Krise?

Wir werden den Betrieb langsam wieder hoch fahren, vielleicht mit nur einem Raum. Ich hoffe, dass wir das schon Ende des Jahres wieder tun können, wahrscheinlich werden wir jedoch geschrumpft wieder auftauchen. Ich hoffe, dass wir auch gute Signale bekommen, wie einen Impfstoff – bereits im Sommer, aber mal abwarten. Ich bin verunsichert, hoffe aber für das Team, dass alle gut durchkommen. Ich wünsche allen Clubs viel Kraft und Energie!

 

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Aus dem FAZEmag 099/05.2020
Foto Dimitri Hegemann: Marie Staggat
Foto Tresor.West: Anke VDH