Dominik Eulberg – Tiere machen Musik

„Eine Umfrage fand heraus, dass gerade einmal drei Prozent der deutschen Bevölkerung den Buchfinken, der knapp hinter der Amsel die häufigste Brutvogelart bei uns ist, am Gesang erkennen. Den kennen die Leute nicht mehr. Wie kann man denn etwas schützen, was man nicht kennt?“ (Dominik Eulberg)

 

Foto: Natalia Luzenko

Westerwald voraus! Die A 3 schlängelt sich durch die westlichen Ausläufer des Mittelgebirges, bevor es dann von der Ausfahrt Dierdorf über die Landstraße ins Zentrum der Region geht, wo Dominik Eulberg, hier im Westerwald, bis auf einige Studienjahre in Bonn und ein Intermezzo in Hamburg, sein ganzes Leben lang zu Hause ist. Es ist mittlerweile eine sehr liebgewonnene Tradition, anlässlich eines größeren Releases Dominik in seiner Heimat für ein Interview zu treffen und das Ganze dann mit einem Spaziergang an der Westerwälder Seenplatte zu kombinieren. Mit einem besonderen Blick auf die heimische Fauna, der Herzensangelegenheit des DJs, Producers und Biologen. Dieses Mal geht es nicht um seine Musik, sondern um ein lehrreiches Buch mit außergewöhnlichen Skulpturen und musizierenden Tieren.

„Tönende Tiere“ heißt Eulbergs zweites Buch, das jetzt gerade wie sein vor zwei Jahren veröffentlichter Vorgänger „Mikroorgasmen überall“ im Eichborn Verlag erschienen ist. Eulberg arbeitet hier mit dem in Leipzig lebenden Künstler Matthias Garff zusammen, im Mittelpunkt stehen 50 heimische Tierarten.

Dominik, wie bist du auf die Idee der „Tönenden Tiere“ gekommen?

Die Grundidee für das Buch entstand im Rahmen der Veranstaltung „Nightingale Picnic and Poetry“, die im Mai 2020 vom Museum für Naturkunde Berlin ausgerichtet wurde und bei der Künstler*innen die Nachtigall feierten und auf verschiedene Art und Weise interpretierten. So hat zum Beispiel der amerikanische Musiker David Rothenberg auf seiner Klarinette live ein Duett mit Nachtigallen gespielt, es gab Tanzaufführungen und Gedichtlesungen und ich wurde auch gefragt, ob ich nicht einen Technotrack mit einer Nachtigall machen möchte. Aber einfach den Gesang einer Nachtigall mit einer Bassdrum zu unterlegen, war mir zu langweilig. So kam mir die Idee, den virtuosen Gesang des Vogels in Noten zu transkribieren, in Midi-Daten umzuwandeln und dann die Nachtigall selber einen Musiktrack machen zu lassen. Das kam sowohl beim Naturkundemuseum als auch beim Publikum sehr gut an.

Und wie ging es dann weiter?

Ich wollte dann weitere Tierstimmen auf diese Art und Weise vertonen, das hatte es so noch nicht gegeben. Früher haben einmal große Komponist*innen Tierstimmen adaptiert, wie Olivier Messiaen, der auch Ornithologe war, oder Beethoven mit seiner weltberühmten 5. Symphonie, die ein Goldammer-Motiv beinhaltet, Mozart, Wagner und viele weitere Künstler*innen. Und da ich ja auch Gastwissenschaftler am Naturkundemuseum in Berlin bin, konnte ich auf das dortige umfangreiche Tierstimmenarchiv zugreifen und habe mir daraus die 50 spannendsten Stimmen aus der heimischen Fauna rausgesucht.

Dazu habe ich dann spannende Fakten zusammengeschrieben, was das Besondere an den ausgesuchten Tieren bzw. Tierstimmen ist – auch etymologisch, wie die Namen zustande kamen und wie die Tiere im Volksmund genannt werden, denn damit kann man auch vieles direkt erklären. Ich habe dann angefangen, die Tierstimmen zu transkribieren und einminütige Tracks zu machen. Das war dann letztlich das Grundgerüst für das Buch.

Kiebitz

Da fehlte aber noch die visuelle Umsetzung, hier kommt nun Matthias Garff ins Spiel.

Bis dahin kannte ich Matthias Garff noch gar nicht. Ich war aber im Mai 2021 in Hamburg als Gast einer TV-Sendung beim NDR und war mit dem Taxi auf dem Weg zum Sender, als ich aus dem Augenwinkel ein Schaufenster mit einem überlebensgroßen Rotkehlchen und Buchfinken sah. Nach der Sendung bin ich nochmal dahin gefahren und habe gesehen, dass das ein Künstler aus Leipzig ist, der diese Tiere aus Alltagsgegenständen und Müll lebensnah nachbaut. Das hat mich total fasziniert, ich bin ihm dann auf Instagram gefolgt und fand das total spannend.

Als es dann zu den Überlegungen kam, welche Illustrationen man verwenden könnte, fand ich aber erst einmal nichts Passendes. Bis meine Frau Natalia, die ja die Gestaltung des Buches gemacht hat, den Gedanken hatte, dass das richtig cool wäre, wenn das Matthias Garff machen würde. Ich war mir aber nicht sicher, ob er überhaupt Lust und Zeit hatte, es ging ja immerhin um 50 Skulpturen. Aber wie es so ist im Leben: Wer nicht fragt, bleibt dumm. Also habe ich ihn einfach mal angeschrieben – er kannte mich auch und war auch Fan meiner Arbeit – und er war glücklicherweise direkt Feuer und Flamme für die Idee.

Die Zusammenarbeit macht auch total Sinn. Ich habe die Tiere mit Synthesizern nachgebaut, habe denen ein Instrument gegeben – nichts Eigenes komponiert, nur in Noten übersetzt – und Matthias hat aus Gegenständen die Tiere nachgebaut.

Was ist denn letztlich dein Anliegen mit dem Buch? Klar, die Menschen für Naturschutz zu sensibilisieren, aber auf welche Art und Weise hilft hier das Buch weiter, was erhoffst du dir?

Mir ist bei diesem Projekt wichtig, dass man immer mehr feststellt, dass man mit dystopischem Alarmismus nicht weiterkommt. „Es ist ganz, ganz schlimm, aber noch können wir die Kurve kriegen“ – da resignieren die Leute, denke ich. Ich bin ein Freund davon, Naturschutz als positive Lebensphilosophie zu vermitteln, die Leute lustvoll und niederschwellig mit einem bunten Buch und geilen Sounds abholen. So kann man Botschaften rüberbringen und was zum Schwingen bringen.

Es gibt ja die Theorie der sozialen Kipppunkte. Man muss nur recht wenige Prozent der Bevölkerung nachhaltig sensibilisieren, um Werte und Normen ändern, dann trägt sich das irgendwann weiter. Ein gutes Beispiel dafür ist die Frauenbewegung. Eine kleine Minderheit von Aktivistinnen stieß im 19. Jahrhundert eine Bewegung an, der es gelang, unsere Gesellschaft weltweit nachhaltig zu verändern.

Dazu müssen die Menschen auch zuhören …

… und das ist auch ein Problem unserer Zeit. Wir müssen die Leute wieder zum Zuhören bringen. Wir leben in einem Zeitalter, in dem wir unseren Hörsinn, der ja unser elaboriertester Sinn ist, geradezu misshandeln. Wir foltern ihn mit Lärm oder Low-Quality-MP3s und leben sehr hypervisuell, wo von links nach rechts oder umgekehrt gewischt wird. Wir hören nicht mehr zu: uns, unseren Partner*innen, Mitmenschen, der Umwelt. Eine Umfrage fand heraus, dass gerade einmal drei Prozent der deutschen Bevölkerung den Buchfinken, der knapp hinter der Amsel die häufigste Brutvogelart bei uns ist, am Gesang erkennen. Den kennen die Leute nicht mehr. Wie kann man denn etwas schützen, was man nicht kennt?

Darüber hinaus wird es ergänzend zur Buchveröffentlichung auch eine zweijährige Wanderausstellung durch die größten Städte im deutschsprachigen Raum geben. Dort werden dann nicht nur in Naturkunde-, sondern auch in Kunstmuseen die Klanginstallationen und die Tierskulpturen ausgestellt. Außerdem läuft damit dann auch ein zweijähriges Bildungsprojekt an, das zusammen mit dem Berliner Museum für Naturkunde, dem NABU und dem Bundesamt für Naturschutz auf die Beine gestellt wird, um zu belegen, dass man über Kunst und Kultur als lustvolle Vektoren mehr erreicht als mit Alarmismus, denn es gibt dazu noch kaum Studien. Doch erst kürzlich schrieben Expert*innen im Abschlusspapier zu der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung einberufenen Denkfabrik FactoryWisskomm, die „Emotionalisierung der Wissenschaftskommunikation könnte zu einer möglichen Verbesserung und Effektivitätssteigerung“ führen.

 

„Tönende Tiere“ ist weit mehr als nur ein Buch und hat sich aus einem kleinen Element, einer Nachtigall und ihrem Gesang, zu einem umfangreichen und „sehr intrinsischem und natürlich gewachsenem Projekt“ entwickelt und spiegelt auch das vielfältige Schaffen wider, das Dominik Eulberg seit vielen Jahren verfolgt und das längst über reine DJ-Gigs und bloße Albumproduktion hinausgeht. Er nutzt seine Mittel und Kanäle transdisziplinär, um ein möglichst großes Publikum für die Belange der Natur – und damit auch für unsere Belange – zu sensibilisieren. Wir sollten ihm viel mehr zuhören.

 

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Aus dem FAZEmag 135/05.2023
Text: Tassilo Dicke
Foto: Natalia Luzenko
www.dominik-eulberg.de
www.luebbe.de/eichborn