Dr. Motte – 30 Jahre Loveparade

Niemand in Deutschland steht international so für „Techno made in Germany“ wie Dr. Motte. Wer nicht genau weiß, wer das ist, sollte Wikipedia checken. Uns fehlt an dieser Stelle die Zeit für Nachhilfe, denn es gibt spannende neue Projekte von Dr. Motte, denen wir uns widmen möchten. Friede, Freude, Eierkuchen anno 2019.

Loveparade 2000

Vor fast genau 30 Jahren hat etwas begonnen, was später unter dem Begriff Loveparade weltweit Bekanntheit erlangte. Was genau waren damals deine Beweggründe und wie haben sich diese im Laufe der erfolgreichen ersten Jahre verändert?

Meine Beweggründe haben sich nie geändert, aber die Umstände und die Entwicklung der Loveparade selbst. Am Anfang hast du die Idee, mit ein paar Freunden eine Street-Party zu machen. Dann die Idee, die Street-Party als Versammlung bzw. Demonstration anzumelden. Und dann brauchst und findest du ein Motto: Friede, Freude, Eierkuchen. Friede für Abrüstung, Freude für Musik als Mittel der Völkerverständigung und Eierkuchen für die gerechte Nahrungsmittel-Verteilung. Dann muss das geplant und organisiert werden. Zehn Jahre später kommen 1,5 Millionen Raver zur Loveparade und die gesamte Berliner Clubszene profitiert davon. Sie verdienen viel Geld. Das ist gut so. Ich bin dabei immer auf dem Teppich geblieben und wollte immer, dass andere es uns gleichtun. Wie beispielsweise die Street Parade in Zürich seit 1992, auf der ich dieses Jahr auch wieder spielen werde. Geil!

Wie lief die Planung der ersten Loveparade ab und wer war alles involviert? Wie viele Wagen gab es, wie verlief die Route genau?

Hauptsächlich waren wir ein paar Freunde und Bekannte aus dem damaligen Minizirkel von Acid-Liebhabern aus den Jahren 1988 und 1989. Wir waren ungefähr zehn Leute, die sich spontan zusammenfanden, sich ein paarmal getroffen und alles organisiert haben. Danielle de Picciotto hat sich darum gekümmert, die damalige Clubkultur auch modisch darzustellen, und hat ihre Freundinnen Christa Raspe und Fiona Bennett eingeladen mitzumachen. Miriam Scheffler hat damals im Rathaus Charlottenburg gearbeitet und sich um die Anmeldung der Demo bei der Versammlungsbehörde gekümmert. Um 14:30 Uhr, mit einer halben Stunde Verspätung, ging dann am 1. Juli die Demo endlich los – nachdem uns die Polizei aufgefordert hatte, endlich mal anzufangen. Start und Ende waren der Wittenbergplatz. Die Strecke ging über den Tauentzien, am Europa Center vorbei, über den Ku’damm, bis zum Adenauerplatz und wieder zurück. Die DJs der ersten Parade waren Kid Paul, Westbam, Jonzon und ich – Dr. Motte. Wir spielten aber nicht live, sondern hatten alle Tapes vorbereitet, die dann über die Lautsprecher liefen.

Was war unter heutigen Gesichtspunkten dein schlimmster Fehler in Bezug auf Loveparade-Umzug und -Verkauf? Wann ist bei dir die Stimmung umgeschlagen?

Wir hätten von Anfang an einen Verein oder eine gemeinnützige GmbH gründen sollen und Jürgen Laarmann und Ralf Regitz nur anstellen sollen, anstelle sie in die damalige Love Parade GbR mit rein zu nehmen. Wir hätten niemals eine normale GmbH gründen dürfen, um nur danach zu schauen, dass Low Spirit und Planetcom groß absahnen. Wir hätten niemals so schlechte Loveparade-Compilations machen dürfen. Im November 2005 hätten wir die Loveparade nie zu 100 Prozent an Rainer Schaller, McFit, verkaufen dürfen. Ich hätte ein Veto einlegen und den Verkauf damit verhindern sollen. Denn alles, was ab 2006 passiert ist, hatte mit dem Spirit der Loveparade, also der echten, authentischen elektronischen Musikkultur, nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun. Mir tut das alles, was in Duisburg 2010 passiert ist und was danach folgte, so leid.

Wann bist du das letzte Mal auf einer Loveparade gewesen und welche Erinnerung hast du an diese Momente?

Ich bin 2003 das letzte Mal auf einer Loveparade gewesen. Die haben wir noch selbst veranstaltet. Danach, ab 2006, war das doch alles Mist! Rainer Schaller hat die Parade als Marketing-Instrument für seine Fitnesskette benutzt und dafür, sie und damit unsere elektronische Musikkultur beim Finanzamt von der Steuer abzusetzen. Vielen Dank, aber ohne mich.

Du bist international das Aushängeschild der Loveparade und immer noch als ihr Gründer DJ-technisch unterwegs. Wie oft kommt es vor, dass du hinsichtlich einer neuen Parade angesprochen wirst? Was müsste passieren, damit du noch einmal eine neue Parade in Angriff nimmst?

Ich werde sehr oft auf sämtlichen Kanälen aufgefordert, wieder eine Loveparade zu starten. Facebook, Instagram, E-Mails, persönlich usw. Wenn man heute damit anfangen würde zu planen, würde es ca. zwei Jahre dauern, bis man die Idee zu einem Konzept gemacht, eine Struktur aufgebaut hat und dann die Umsetzung angehen kann. Man muss Lobbyarbeit auf allen Ebenen betreiben. Wenn ich mir anschaue, wie die Politiker und die Polizei mit unserer elektronischen Musikkultur umgehen, jetzt plötzlich Diskussionen über Sperrstunden in Berlin anzetteln, absurde Auflagen für Festivals stellen oder auch auf dem Karneval der Kulturen in Berlin überpräsent sind – da muss ich mich schon fragen, ob die überhaupt verstanden haben, was wir die ganze Zeit machen, oder ob sie uns als Kulturmacher als Bedrohung sehen.

Es gibt jetzt seit vier Jahren einen Umzug in Berlin, der sich Zug der Liebe nennt. Was ist deine Meinung dazu?

Der Zug der Liebe ist eine große Demonstration, die viele politische Themen gleichzeitig aufgreift, wie zum Beispiel soziale Gerechtigkeit, Jugendförderung und -schutz, nachhaltige Stadtentwicklung, Erhalt von Grünflächen, gegen Gentrifizierung und Mietenwahnsinn … Die haben ganz schön was auf dem Zettel. Und die Macher nutzen die elektronische Musik als Instrument, um viele Menschen für diese Themen zusammen zu bringen. Das ist doch eine gute Idee. Jeder hat in Deutschland das Recht, eine Versammlung anzumelden. So steht das im Grundgesetz. Nichts anderes macht der Zug der Liebe. Er besteht auch darauf, nicht als die neue Loveparade wahrgenommen zu werden. Das kann man sehr gut auch im Podcast „1000 Tage Techno – Episode 1: Der Paradengipfel“ nachhören. Da sind die Macher des Zug der Liebe und ich bei Jürgen Laarmann zu Gast gewesen, um genau darüber zu sprechen, und haben diese Unterschiede klar herausgestellt. Wir entwickeln und leben seit 30 Jahren eine friedliche, respektvolle und vielfältige elektronische Musikkultur, und das im Sinne unserer Verfassung. Wer Festivals und Umzüge in Deutschland durch Auflagen verhindern will, will genau das Gegenteil. #fusionbleibt

Anfang Juli eröffnet „nineties berlin“ die Sonderausstellung „Dr. Mottes Loveparade“, die bis Ende Januar 2020 geht. Was darf man hier als Besucher erwarten? Wie bist du mit den Machern in Kontakt gekommen?

Ich war eingeladen zur Eröffnung der „nineties berlin“Ausstellung in der Alten Münze. Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden. Da kam natürlich auch ziemlich schnell die Idee auf, eine Sonderausstellung über die Loveparade zu machen. Wenn ich und viele andere an die 1990er zurückdenken, fällt den meisten die Loveparade ein. Jetzt haben wir sehr viel Material zusammengetragen und können viele Videos, Bildmaterial zeigen, aber auch viele „Reliquien“, die die Raver über Jahre gesammelt und aufgehoben haben. Teilweise Sachen, die man vorher noch nie so gesehen hat. Die Ausstellung geht vom 1. Juli 2019 bis zum 31. Januar 2020.

Loveparade 2000

Ihr hattet einen Aufruf zur Ausstellung gestartet. Wie war die Resonanz darauf und was waren die skurrilsten Erinnerungsstücke, die ihr erhalten habt?

Überwältigend. Wir haben noch immer nicht alles sichten können und es treffen weiterhin täglich hunderte von Fotos, Videos und mehr ein. Schon irre, was man darunter so alles findet. Wir hören auch erst mal nicht auf zu sammeln. Das ist viel zu spannend und jede E-Mail ist wie eine kleine Bescherung. Also immer her mit euren Sachen, die ihr aus der Loveparade-Zeit in Berlin habt! Alle Infos dazu findet ihr unter www.drmotte.de.

In vielen Berliner Medien wird das Ende der Bewegung „Elektronische Musik“ proklamiert, aufgrund der immer neuen Auflagen. Wie schätzt du die Lage in Berlin ein und was hat sich in Berlin seit deinem Karriere-Beginn Ende der 1980er-Jahre hinsichtlich Club-Kultur verändert?

Die Clubs und Veranstaltungsräume in Berlin haben keinen Bestandsschutz, generieren aber 1,5 Milliarden Euro Umsatz in der Stadt. Das scheint allerdings egal zu sein. Der Berliner Rot-rot-grüne Senat privatisiert und monopolisiert lieber im Stillen den Berliner Schulbau. Gründet zusammen mit der Wirtschaft eine neue Wohnungsbaugesellschaft, um mit Steuergeldern neue Schulen zu bauen. Danach gehören die Schulen der HOWOGE und Berlin muss dann die Schulen mieten! Der Steuerzahler muss also zweimal für Schulen bezahlen. Die Berliner Kulturschaffenden haben keine ausreichende Lobby und deshalb können, wenn überhaupt, auch nur unbefriedigende Kompromisse erzielt werden. Da soll ein 100 Meter hoher Wohn- und Geschäftsturm dorthin, wo jetzt Suicide Circus, Urban Spree und Astra Kulturhaus stehen. Die sollen dann einen neuen Platz bekommen, weiter hinten auf dem Gelände, wo es schon jetzt haufenweise Anwohnerbeschwerden gibt. Weitere Eskalation ist also vorprogrammiert. So läuft das in Berlin. Schließlich muss ja Rendite generiert werden. Investoren bauen auch besonders gerne Shopping-Center. Das zerstört unheimlich viel bezahlbaren Wohnraum und nicht zuletzt die kleinen Shops und Boutiquen von kreativen Designern, Künstlern, Musikern etc. Wenn diese Entwicklung nicht bald gestoppt wird, sehe ich für Berlin eine gähnend langweilige und eintönige Zukunft. Kulturelle Vielfalt, bye-bye.

Als du angefangen hast, in Berliner Underground-Clubs aufzulegen, hättest du dir sicherlich nicht vorgestellt, mit 60 Jahren – nächstes Jahr ist es so weit – noch immer aktiv zu sein in Sachen Techno. Warum hält die Musik dich jung und was kommt nach Techno für dich?

Nach Techno? Das verstehe ich nicht … Ich will das genauso und nicht anders. Letztens in Hannover kam der Veranstalter zu mir und meinte, er bewundere mich dafür, welche Energie ich habe. Da kann ich nur sagen: Ich liebe und lebe Techno. Die Musik und die Menschen, die mit mir feiern, geben mir mehr Kraft und Energie zurück, als mir eine durchgemachte Nacht je nehmen könnte. Musik auflegen, das mache ich jetzt schon seit 1985. Ich wüsste nicht, was es Besseres geben könnte. Ich danke dem Universum und allen, die mich unterstützen und mit mir zu meiner und unserer Musik tanzen!

Was war rückblickend der bewegendste Moment auf der Loveparade für dich?

Ganz ehrlich? Davon gibt es viele. Zum Beispiel alle Jahre zu sehen, wie diese Szene gewachsen ist, wie viele Love-Floats an der Loveparade in Berlin teilgenommen haben – und es wurden jährlich mehr. Wie viele Menschen schon sehr früh auf die Floats an der Siegessäule gewartet haben und dass man bis zum Horizont nur friedliche, musikalisch beglückte und entrückte Menschen gesehen hat. Echt verrückt war es auch immer auf dem Ku’damm bis 1995. Du konntest einfach nicht umfallen, so voll war es am Ende. Oder 1999, als dann um 18:00 Uhr rund um die Siegessäule alle Love-Floats mit unserer Anlage synchronisiert wurden und von überall nur noch der Sound der DJs von der Hauptbühne lief. Da ging eine Welle der Euphorie durch die Menge. Wow! Gänsehaut!

Was können wir von deinem Download-Mix erwarten?

Eine leckere Mischung aus meinem superaktuellen, hypnotischen und typischen Dr.-Motte-Techno, mit einigen All-time Favorites und Classic-Zitaten. Lasst euch überraschen!

Wie geht es weiter mit deinem Label PRAXXIZ? Was steht hier an?

Wir werden „Lucid Dream“ endlich bei Bandcamp hochladen. Datum 1. Juli 2019 – wann sonst? Außerdem habe ich mit Gabriel Le Mar ein offenes „Künstler und Künstler“-Projekt gegründet. Die CD ist vor Kurzem auf Carpe Sonum und ebenfalls auf Bandcamp erschienen, unter carpesonum.bandcamp.com. Mit PRAXXIZ machen wir die digitale Auswertung bei allen Musik-Plattformen weltweit, warten aber erst mal ein bisschen den Verkauf der CD ab. Ich sag dann Bescheid.

Welche drei Stücke verbindest du für immer mit der Abschlusskundgebung?

1. Dr. Motte – Lucid Dream
2. KLF – What Time Is Love
3. The Break Boys – My House Is Your House (And Your House Is Mine)

 

Aus dem FAZEmag 089/07.2019
Text: Sven Schäfer
Fotos Dr. Motte: Zandy
www.drmotte.de

 

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