Easy Travelling? Das Reisen ist des DJs Frust – die Kolumne von Marc DePulse

Copyright: Daniel Gläser
Easy Travelling – Copyright: Daniel Gläser

4 Tage im Studio und 3 Tage auf Reisen – so könnte man die normale Woche des modernen Musikers beschreiben, alias Produzent und DJ in einer Person. Und für jemanden, der in diesem Rhythmus das ganze Jahr über lebt, ist es unglaublich wichtig, dass das Rahmenprogramm so optimal wie möglich abläuft: entspannt reisen, gut essen, ruhig und gemütlich schlafen und vor allem böse Überraschungen vermeiden.

DJ zu sein heißt reisen. Egal ob man es liebt oder hasst, es gehört dazu. Reisen bedeutet eben nicht nur die 2 Stunden Flug sondern das ganze davor und danach. Von der eigenen Haustür bis zum Hotelzimmer am Zielort. Und so etwas kann sich ziehen wie ein Kaugummi.

„New York, Miami, Paris, Istanbul. Oh wow, du kommst ja echt rum!“ Logo, als DJ hat man die Möglichkeit, Städte und Länder zu sehen, wovon manch Anderer in seinem gesamten Leben vermutlich nicht einmal die Hälfte sehen wird. Techno zeigt dir die Welt.

Viele kennen es bestimmt: man bekommt eine Anfrage aus einer Stadt, von der man noch nie gehört hat. Also wirft man erst einmal die Suchmaschine an um zu schauen, wohin die Reise überhaupt gehen soll. Oft sind es Touri-fremde Städte, Abenteuer, aber vor allem unbezahlbare Einblicke in das Leben der Einheimischen. Nur leider ist man nicht mal eben per Fingerschnipp in fernen Gefilden, sondern reist mitunter ganze Tage, um dann für ein paar Stunden die Nacht durch zu feiern, kurz die Augen zu schließen und dann schon wieder am Flughafen zu stehen. Kein Flugplan der Welt richtet sich nach deinen Feier- und Schlafgewohnheiten. Manchmal fällt man direkt aus dem Club in die Maschine, da dies der einzig mögliche Flug am Tag ist. Schließlich hat man auch nicht immer die Zeit, noch ein oder zwei Tage hinten dran zu hängen. Das geht auch gar nicht, wenn man jede Woche spielt und unter der Woche genau darauf hin arbeitet.

Vielreisende DJs haben natürlich eine breite Palette der Fortbewegungsmittel und ich habe zugegebenermaßen auch schon unzählige Optionen gewählt, um zum Gig zu kommen: Auto, Zug, Flugzeug, Fahrrad, Moped, Schiff, zu Fuß oder gerade letztens erst mit dem Elektro-Buggy zum Lift und dann mit der Gondel auf die Spitze der Alpen.

Was also stellt das Problem dar? Ganz einfach: Als DJ bist du beruflich permanent auf Achse. Wenn du am Wochenende vielleicht insgesamt 3 Gigs á 2 Stunden spielst, heißt das, dass du dafür trotzdem 3-4 Tage durchgehend auf den Beinen bist, zwischen Clubs, Bahnhöfen, Flughäfen und Hotels pendelst.

Im Grunde geht es ja darum: Du willst gut gelaunt und relaxt ankommen und dann mit vollem Tatendrang dein Set spielen und mit den Leuten gemeinsam eine tolle Zeit erleben. Das funktioniert natürlich nicht, wenn der Tagesabschnitt zuvor einer Odyssee glich. Sei es eine nervige Zugfahrt, verpasste Anschlussflüge, ein lautes Hotel oder schlichtweg schlechtes Essen. Wer viel reist weiß: die Summe aus allem macht keinen glücklichen Menschen aus dir.

AUTO FAHREN:
Fliegt man lieber 90 Minuten nach Zürich oder fährt man stattdessen 7 Stunden mit dem Auto? Da sich das preislich nicht viel nimmt, fällt man die Entscheidung wohl eher aufgrund einer möglichen Flugangst. Und wohl dem, der Freunde hat, die gern Auto fahren. Eine Reise auf dem Beifahrersitz ist natürlich eine gemütliche Option, aber wehe man fährt selbst und das möglichst noch komplett übermüdet nach dem Gig zurück nach Hause. Ich erinnere mich daran zurück, als ich vor 10 Jahren nach dem Gig in Berlin 5 Uhr morgens noch zwei Stunden auf der leeren Autobahn nach Leipzig gefahren bin. Jeder, der schon einmal einen Sekundenschlaf erlebt hat, weiß wie riskant und unverantwortlich das eigentlich ist. Seit dem ist selber fahren für mich keine Option mehr.

FLIEGEN:
„Muss Marc denn unbedingt fliegen?“ Nun, kein DJ fährt mit der Regionalbahn von Berlin bis Moskau. Auch wenn das vielleicht 50 Euro billiger als der Flug ist. Natürlich führen wir so eine Diskussion gar nicht erst.

Irgendwann ist man in einem Alter angekommen, wo man alles schon einmal erlebt hat und gar keine Lust mehr auf unangenehme Überraschungen hat. Abenteuer kommen sowieso unvorhergesehen. Nämlich wenn mal ein Transportmittel ausfällt oder man wo völlig anders ankommt, als man sollte. Ich erinnere mich bei so etwas ungern an meine Reise in die Ukraine zurück, als meine Maschine nebelbedingt in Donetsk (wenige Monate vor dem Krieg) statt in Charkiw landete. Und dann stehst du da, irgendwo im Nirgendwo und fährst nachts über 300 km mit dem Taxi zurück quer durch die Prärie. Geschichten, die ich noch meinen Enkeln erzählen werde. Selbstverständlich möchte man so etwas nicht jede Woche erleben.

Wer viel fliegt, ist vermutlich längst „Frequent Traveller“. Unterhaltungen unter Gleichgesinnten hören sich dann irgendwann nur noch so an: „Und, was hast du noch für Ziele?“ – „Ich will den Senator-Status erreichen.“ Das ist der Sport der Großen: „Wie viele Meilen brauche ich noch um den nächst höheren Status bei der Fluggesellschaft zu erreichen?“ Oder: „Ich fliege nicht mit Airline xy, weil ich dort keine Meilen sammle.“ Zugfahrer: „Ab wie vielen Punkten bekomme ich wieder eine Freifahrt?“ und sowieso: mit der Kreditkarte des jeweiligen Unternehmens kann man ja zusätzlich auch noch wichtige Bonuspunkte sammeln. Bei manchen Unterhaltungen habe ich so das Gefühl, dass manch einen dieses Thema mehr beschäftigt als das aktuelle Weltgeschehen, geschweige denn die Musik oder die Szene. Okay, nennen wir es „first-world-problems“.

Á propos Status: einen Tourmanager, der auch noch überall hin mitkommt, bekommt man erst an die Seite gestellt, wenn man ein ganz großer Reisefisch ist.

ZUG FAHREN:
Es hat einfach nichts mit Star-Allüren zu tun, wenn man auf ein 1. Klasse-Ticket im Zug besteht. Es erklärt sich sogar von selbst. Wer schon einmal 1. Klasse gefahren ist, weiß, dass man dort nicht den Allerwertesten gepudert bekommt. Dort gibt es auch keinen Schampus aus der Leitung, nein für seine Cola Light muss man sogar noch unverschämt hohe Preise bezahlen und das Zugpersonal hat zum Leidwesen der Passagiere die gute Laune im eh meist geschlossenen Bordbistro verloren. Aber hey, dafür darf man sich über 5 cm mehr Beinfreiheit freuen. Die Toiletten verbreiten übrigens die selbe Duftmarkt wie in der (Vorsicht, Arroganzanflug:) Holzklasse. Schelm beiseite. 1. Klasse fahren heißt im Grunde nur eins: du hast deine Ruhe. Und das ist Gold wert. Vor dem Gig – um entspannt und gut gelaunt anzukommen, und nach dem Gig – um einfach nochmal die Augen zu zumachen und die Stille genießen, denn in der Nacht zuvor war es ja sicher schon laut genug. Übrigens kostet dieser „Luxus“ meist nicht einmal 20,- EUR mehr.

Der Umkehrschluss sieht nämlich so aus: „Genieße das Leben in vollen Zügen“, mit anderen Worten: du sitzt trotz Platzreservierung auf deinem Koffer im Gang. Wer schon einmal mehrere Stunden zusammen mit einer Horde völlig wild gewordener, stinkender und besoffener Fußballfans in einem sowieso völlig überfülltem Zug ohne Klimaanlage verbracht hat, weiß, wovon ich rede. Während ich diese Zeilen schreibe, verspüre ich wieder jenen herben Duft in der Nase, den ein Union-Fan mit seinem seit Wochen nicht gewaschenen T-Shirt mit der Aufschrift „Auswärts ist man asozial“ eindrucksvoll bei mir hinterließ. Selbst 6 Uhr morgens auf der Tanzfläche riecht es besser.

UNTERKUNFT:
Wenn man dann am Zielort den Bahnhof keuchend verlässt um ins gegenüberliegende lauschige Hostel einzuchecken, weiß man, was man bei der nächsten Reise auf jeden Fall anders machen wird. Aber Moment, STOP! Hat der Veranstalter wirklich ein HOSTEL gebucht? Die Fail-Army steht mit Gewehr im Anschlag parat: das ist natürlich ein absolutes No-Go. Auch hier sind wir beim Thema: das hat nichts mit Star-Allüren zu tun. Es ist einfach notwendig, um den Kopf frei zu bekommen und sich wenigstens etwas wie zu Hause fühlen zu können, gerade wenn man schon den Großteil der Woche nicht im eigenen Bett schlafen kann. Im Ferienlager-Gedächtnis-Bettenlager ist das freilich nicht möglich. Dennoch habe ich über die Jahre auch eins gelernt: manchmal ist ein 2-Sterne-Hotel am Ende schöner als manches mit 5 Sternen. Man sollte immer relativieren.

Late-Checkout ist auch etwas ganz tolles. Noch besser aber, wenn die Info bis zum Putzpersonal durchdringt. Leider passiert das viel zu selten und irgendwann kommt der Tag, an dem ich mich rächen werde – an all diesen im Viertelstunden-Takt am Zimmer klopfenden Putzkräften. Mich versetzt das immer direkt in meine Kindheit zurück, als meine Mutter mit dem Staubsauger permanent gegen meine Zimmertür fuhr, nur damit Graf Koks endlich aufsteht.

FAZIT:
Natürlich reist man immer so, wie es am Bequemsten ist. Mal eben mit der Freundin im Auto zur Ostsee oder mit dem Bummel-Express zur Oma? Klar, die Frage stellt sich nicht.

Wenn man es aber beruflich macht, muss man schon auf seine innere Stimme hören. Ist man mehr der Couchsurfer oder der Hotel-Typ? Fliegt man lieber oder fährt man Zug? Natürlich ist es immer eine Kosten-Nutzen-Frage, drum bedenke: 45 Flugminuten können am Ende genau so viel Zeit beanspruchen wie eine 3-stündige Zugfahrt, nämlich wenn man die gesamte Reisedauer einmal betrachtet.

In diesem Sinne: Gute Reise.

Euer Frequent-Blogger

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