Rune Reilly Kølsch ist kein unbeschriebenes Blatt mehr im elektronischen Musikzirkus. Der Däne mit deutschen und irischen Wurzeln startete seine musikalische Karriere in den 90ern, veröffentlichte damals mit seinem Halbbruder Johannes Torpe unter dem Namen Artificial Funk diverse Singles, ein Album wie auch viele Remixe bis weit in die Nuller-Jahre hinein. Weitere Projekte und eigene Labels folgten, mehr und mehr fokussiert auf Rune RK. Unter diesem Namen landete er vor zehn Jahren mit „Calabria“ einen weltweiten Hit, der sich über vier Millionen Mal verkaufte und ihn endgültig in der obersten DJ- und Produzentenliga katapultierte. Was danach an Kooperationen und Projekten bis heute folgte, ist teilweise pures Namedropping und steht hier sowieso nicht im Fokus. Vor gut drei Jahren öffnete sich im Rheinland eine Tür, hinter der sich ein Kölner Label namens Kompakt verbarg, dass sich seiner Dienste und seines Nachnamens bemächtigte. Es war die Geburtsstunde von Kölsch, seinem bisher persönlichsten Projekt, das sich mit seinen 12Inches zu einem eigenständigen und sehr beachtlichen Parallelschauplatz entwickelte. Dieser findet nun mit dem Debütalbum „1977“ seinen vorläufigen Höhepunkt, über den wir mit ihm in Wuppertal kurz vor einem Gig gesprochen haben.
Als Michael Mayer, einer der Kompakt-Inhaber, Kontakt mit Rune aufnahm, wusste er noch gar nicht, welch glückliche Fügung sich mit dem Namen ergeben würde. Er war einfach nur daran interessiert, seine Tracks zu veröffentlichen. Als er aber den ganzen Namen Runes erfuhr, dürften seine Augen geglänzt haben. Das „ø“ wurde gegen ein „ö“ getauscht, und schon hatte man einen neuen lokalen Helden im Kompakt-Imperium, der allerdings mit seinen Tracks auch bestens beim Sublabel Speicher aufgehoben war und dort Hit um Hit ablieferte.
Aber das Wichtigste war, dass Rune Reilly sich sofort gut aufgehoben fühlte im Schoße des Kölner Labels, und dadurch konnte sich das Projekt zu dem entwickeln, was es ist: seine bisher persönlichste musikalische Ausdrucksform. „Ich muss hier nichts erfinden, das bin wirklich ich. Ich schaue zurück und finde so viele Inspirationen. Kölsch ist mein Herzenskind geworden, hat sogar eine therapeutische Wirkung, da ich über meine Kindheit, die stark mit Deutschland verknüpft ist, nachdenke und mich erinnere oder nachfühle, was damals passiert ist. Das war alles schon länger versteckt in mir, und ist nun rausgekommen.“ So erklären sich natürlich auch die Titel der Tracks wie „Opa“, „Goldfisch“ oder „Eiswinter“, womit das ganze Album, benannt nach Runes Geburtsjahr, bestückt ist. Das Label lässt ihm dabei freie Hand, und Michael ermuntert ihn, so verrückt wie möglich zu agieren. „So etwas kann man in der kommerzielleren Sparte kaum machen, und man hat auch nicht die Freiheit, so auszurasten, wie ich das mit Kölsch mache. Es gibt einfach keine Grenzen.“
Auf „1977“ finden sich in der CD- und Download-Version neben diversen neuen Tracks auch die bisherigen Veröffentlichungen auf Speicher und natürlich „All That Matters“. Dieser Songn war im letzten Jahr einer der großen genreübergreifenden Clubhits und fällt nicht nur wegen des englischen Titels aus dem Rahmen fällt. Auch ist es der einzige Vocaltrack ist, gesungen von Runes Landsmann Troels Abrahamsen. „Troels ist in Dänemark ein sehr bekannter Sänger und wohnt wie ich in Kopenhagen. Eine gemeinsame Freundin hat uns zusammengebracht, und ich habe ihm den fertigen Loop des Tracks geschickt. Was ich dabei wirklich sehr schön finde ist, dass sich der Text, den er geschrieben hat, um seine Kinder dreht und damit bestens auch in den Kontext des Albums passt – ohne dass wir uns abgesprochen hätten.“ Eine weitere Besonderheit des Longplayers ist das Tempo, bzw. die Tatsache, dass Kölsch hier nur Dancefloor-Waffen versammelt hat. Machen sich viele Künstler Gedanken darüber, wie sie ihr Album mit möglichst vielen Stilmitteln abwechslungsreich gestalten, so ist „1977“ Abfahrt pur, ohne Verschnaufpause. „Ich habe in der Vergangenheit öfter konzeptionelle Alben gemacht, wo ich mir viele Gedanken darüber gemacht habe, dass man mehr Songs und stille Passagen nehmen sollte. Früher habe ich gedacht, es wäre sehr wichtig, dass ein Album sich darum dreht, ein gutes Erlebnis, eine Reise zu sein. Das ist bei mir irgendwie immer schief gegangen, da musste ich zu viele Kompromisse eingehen. Alben werden oft so intellektualisiert, dass man eine Art Gesamtkunstwerk machen muss. Ich habe intuitiv gehandelt, habe Dinge gemacht, auf die ich Lust hatte – fertig. Und ich finde, dass ich das gut hinbekommen habe.“ Das hat er allerdings, die anfänglichen Zweifel sind sehr schnell verflogen. Es passt, so wie es ist. Für Rune war Techno zudem schon immer die emotionalste Musik. „Es gibt nichts Ehrlicheres, als auf dem Dancefloor zu stehen und etwas zu fühlen. So drücke ich mich aus, und ich liebe es. Das ist meine Sache, was ich schon immer machen wollte.“ Diese Sache fing Anfang der 90er-Jahre an, als der junge Teenager mit Techno in Kontakt kam. Es waren vor allem Basic Channel oder Robert Hood, dessen minimalen Aufwand für maximale Emotionen er bewundert. „Das ist eigentlich nicht viel passiert, aber die Repetition war für mich sehr emotional. Ich habe nie verstanden, wenn Leute sagten, dass das nur Computermusik sei. Man muss eben Phantasie reinpacken, man bekommt nicht vorgesagt, was man denken soll.“
Während Kölsch in den letzten drei Jahren einen Großteil seines Musikerdaseins in Anspruch genommen hat, ist es um Rune RK etwas ruhiger geworden, aber dennoch wird es auch hier weitergehen, das Nutzen mehrerer Alter Egos gehört weiterhin zum Konzept, um Runes Bandbreite elektronischer Musik gerecht zu werden. „Ich habe für mich früh herausgefunden, dass man nicht alles unter einem Namen veröffentlichen kann, das verwirrt die Leute. Und der konzeptionelle Gedanke dahinter gefällt mir eben auch ganz gut. Ich weiß nicht genau, wie es weitergehen wird und was kommt. Kölsch ist mir sehr wichtig, aber ebenso wichtig ist es mir, die Möglichkeit zu nutzen, eine neue Tür zu öffnen. Ich warte jetzt bis zum Ende des Jahres und lasse ein paar Sachen wieder hochkommen, mit denen ich arbeiten kann. Wenn ich hier z.B. in Wuppertal rumlaufe, denke ich auf einmal wieder an meinen Onkel, der hierhin irgendeine Verbindung hatte. Solche Sachen kommen immer wieder raus, und die speichere ich dann ab.“ Gut zu wissen, dass es neben „Oma“ und „Opa“ auch mindestens einen Onkel gibt. Wir freuen uns über eine große Familie und den daraus resultierenden Tracks …
FAZEmag 017/07.2013
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