Skopje – T[rave]l-Guide

Sicher steht Skopje, Mazedoniens Hauptstadt, nicht auf jedermanns Bucket-List für 2019. Dieser Artikel wird das vielleicht ändern, besonders bei all jenen, die sich für elektronische Musik und deren „Underground“-Werte interessieren. Denn in Skopje gilt: keine Hypes, nur Vibes. Nicht nur in den Clubs ist dieser Vibe zu spüren, denn Skopje hat eine Vielzahl an Bars, Restaurants und Cafés zu bieten, in denen Subkultur zu spüren und hören ist. Es folgt ein kleiner Reiseführer mit lnsider-Tipps und Hintergrundinfos zu einer der vielversprechendsten Städte der Szene.

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Ein tieferes Eintauchen in die Geschichte dieses relativ jungen Landes hilft, die Kultur und ihre Szene besser zu verstehen. Mazedonien wurde lange Zeit vom Kommunismus regiert. Erst im Jahr 1991 erklärte sich Mazedonien als unabhängig von Jugoslawien. Spaziert man durch die Straßen der Balkanstadt, blickt man in freundliche Gesichter. Mazedonier sind hilfsbereit und lächeln gutmütig, sollte man die Straßenschilder aufgrund der kyrillischen Schrift nicht lesen können. Reist man zum ersten Mal nach Skopje, könnte man erstaunt und sogar verwirrt sein, denn kommunistische Häuser treffen hier auf neuen Luxus sowie monumentale Gebäude und Statuen in der Innenstadt. Oft lassen sich durch die historischen Gebäude einer Stadt Rückschlüsse auf die Kultur ziehen, jedoch nicht in diesem Fall. Nach einem Erdbeben im Jahr 1963 prägten sowjetische Wohnblöcke und Beton das Stadtbild. Einheimische berichten, Skopje glich vor dem Erdbeben der österreichischen Hauptstadt Wien, durch die Touristen mit roten Doppeldeckerbussen fahren. Das nächste historische Ereignis, das die Stadt prägte, war das Projekt „Skopje 2014“. Aus diesem städtebaulichen Projekt entstanden die oben genannten „historischen“ Monumente und Statuen in der Innenstadt. Läuft man durch die Straßen und spricht mit Einheimischen, ist der Kommunismus jedoch noch immer sicht- und spürbar. Sogar die neuartigen, historischen Statuen täuschen darüber nicht hinweg. Trotzdem oder gerade deshalb ist die lokale Szene gut vernetzt und zeichnet sich durch einen starken Zusammenhalt aus. Neben all diesem Kitsch bietet der „Old Bazaar“, einer der ältesten und größten Marktplätze des Balkans, zumindest gefühlt eine Historie. Neben feinen Materialien und Leder lassen Kebab, Baklava und andere leckere Balkan-Spezialitäten das Herz höherschlagen. Das Gute daran: Alles ist sehr günstig und wird meist in guter Qualität serviert. Nicht nur auf dem Basar, sondern in der ganzen Stadt. Ein Cappuccino kostet beispielsweise nur rund 1 EUR. Das junge, aufstrebende In-Viertel, in dem sich viele trendige Cafés und Bars befinden, ist Debar Maalo.

Skopjes Techno-Szene

Die lokale Szene ist klein und es scheint fast so, als würde jeder den anderen kennen. Die Einwohner von Skopje sind sehr selbstbewusst, wenn es um ihre Szene geht – und das zu Recht. Denn elektronische Musik hat in Skopje eine lange und starke Historie. Zoki Bejbe, ein lokaler Künstler, der seit Beginn an Teil der Szene ist, erklärt, warum. Er gibt uns Einblicke in Geschichte und Entwicklung der Kultur und nennt uns einige lokale Hotspots.

„In den 90er-Jahren reisten Menschen aus ganz Jugoslawien nach Skopje, um elektronische Musik zu hören“, erzählt Zoki. Skopje wurde als Hauptstadt Jugoslawiens für elektronische Musik wahrgenommen. 1989 begannen DJs, House-Musik in den Clubs zu spielen. Zudem mixte Anfang der 90er der erste alternative Radiosender „Kanal 103“ alternative Musik mit Klassikern und elektronischer Musik wie Kraftwerk, Cabaret Voltaire und Front242. Zoki erwähnt auch, dass 1993 die erste offizielle Technoparty in Skopje stattfand. Darüber hinaus zog das T-Festival im Jahr 1995 über 4000 Gäste in die Stadt. Das State-of-Bliss-Event, wie Zoki es nennt, lud Künstler wie The Prodigy nach Skopje ein. Dieses Festival wirkte auf die lokale Szene wie eine Revolution. Von da an eroberte die Subkultur Hinterhöfe, Keller und andere Gebäude der Stadt. Partys und Events wurden organisiert, Clubs eröffnet und Künstler wie Derrick May kamen nach Skopje. Laut Zokis Erzählungen wurde 1996 der erste Techno-Club der Stadt eröffnet: Dali. In dieser Zeit war eine Künstlergruppe namens PMG (Progressive Music Group) das erste Kollektiv, das sich seinen Lebensunterhalt in Skopje mit elektronischer Musik verdienen konnte. Plattenläden tauchten auf und Techno wurde populär. „In Mazedonien ist man ein Niemand, hat man keine große Plattensammlung zu Hause“, sagt Zoki. Vor etwa vier Jahren erlebte die Szene eine Talfahrt. So war der Club Sektor 909 2014 der einzige, der elektronische Musik spielte. Es war aber auch die Zeit, in der der Underground wieder auflebte.

Heute ist die Stadt mit einer Vielzahl an Clubs, Partys und einer starken Szene wieder auf Kurs. Sie bringt außerdem viele lokale Künstler hervor. So auch Stojche. Der mittlerweile in Berlin lebende Künstler ist nach wie vor ein wichtiger DJ für die lokale Szene. So lud er mazedonische Künstler bereits für Gigs in den Tresor nach Berlin ein. Ein weiterer wichtiger Techno-Export aus Mazedonien ist Herzel. Eines der bemerkenswertesten Festivals für elektronische Musik, bildende Kunst und Neue Medien ist das Desonanz Festival. Junge Kollektive, die Skopjes Szene neues Leben einhauchen, sind Oubli, Audiobahn, Btkrsh und Skopski Groove. Laut Zoki sind sie die Zukunft der Clubkultur und des Nachtlebens in Skopje.

Der mazedonische DJ und Produzent Stojche lebt seit sieben Jahren in Berlin und wurde mit und in Skopjes Szene groß. Einblicke und Hintergründe zu ihm und Skopjes Technokultur gibt er uns im Interview.

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Wie hat dich die Szene in Skopje dazu inspiriert, das zu tun, was du heute machst?

Ich war acht Jahre alt, als 1992 die erste Technoparty in Skopje stattfand. Der Grundstein für die Clubkultur war bereits gelegt und tief in der kulturellen Palette der Stadt verankert. Leute konnten die Wochenenden kaum erwarten und kauften ihre Tickets bereits im Voraus. Alle waren hungrig auf Techno und die Energie war großartig. Die Verbreitung der elektronischen Musik in Skopje gab uns die Möglichkeit, Techno-Pioniere aus Detroit in unseren Clubs zu erleben. Carl Craig, Juan Atkins und Jeff Mills waren die Künstler, die auf mich den größten Einfluss hatten. Ihre Musik berührte mich emotional. Dynamische Grooves, die Soul- und Funk-Elemente beinhalten, fanden bei meinen Ohren schon immer Anklang. Ich bin sehr dankbar, dass ich die Möglichkeit hatte, diese Einflüsse in meiner Heimatstadt aufzugreifen. Klassischer 90er-Jahre-Techno fühlt sich für mich noch immer frisch an und inspiriert mich weiterhin. Ich bin sehr glücklich, einen Teil meines Inneren durch die Platten, die ich spiele, weitergeben zu können. Als ich durch Europa getourt bin, haben mich viele Promoter gefragt, wie es dazu kam, dass Skopje die Quelle meiner Inspiration ist. Nun, es ist eine Stadt mit Charakter, die mich mit kreativer Nahrung versorgt. Mazedonien war schon immer auf meiner Techno-Landkarte. Fragt man Derrick May nach Skopje, wird das Lächeln auf seinen Lippen Bände sprechen. 

Skopje, eine Vinyl-Stadt. Was ist die Geschichte dahinter?

Mein Vater hat mir die Geschichte dazu erzählt. Denn in den 60er- und 70er-Jahren galt offenbar die soziale Norm: „Ohne eine vernünftige und außerordentliche Plattensammlung bist du ein Niemand.“ Er erzählte mir, dass es damals keinen Haushalt ohne eine große Vinyl-Sammlung gegeben habe. Im damaligen Jugoslawien wurden viele der Platten im Gebäude des Mazedonischen Staatsfernsehens gepresst. OHIS, eine Chemiefabrik in Skopje, belieferte zudem Presswerke mit dem Granulat, aus dem die Platten gemacht wurden. Unsere Plattenläden spielten daher eine entscheidende Rolle für die Entwicklung junger Talente und Künstler – sie waren wie besessen von Vinyl. Es gibt ein jährliches Event namens „Skopje Vinyl Convention“, auf dem viele lokale und regionale Plattenläden ihre Sammlung zum Verkauf ausstellen. Der Umsatz letztes Jahr war gigantisch. Für eine Stadt mit einer halben Million Einwohner ist der Anteil an Künstlern, die noch immer mit Vinyl spielen, ziemlich imposant. Dieses physische Musikformat ist echt und pur. Vinyl als Medium ist untrennbar von der Kultur, die wir repräsentieren.

Skopjes Szene damals im Vergleich zu heute. Wie würdest du sie beschreiben?

Sehr lebendig! Skopje ist eine der wichtigsten Drehscheiben für elektronische Musik im Balkan. Veranstaltungsstätten wie Metropol, Element, MNT, Colosseum und The Club sind heute leider geschlossen, präsentierten damals jedoch führende Underground-Acts. Es gab immer Platz für jegliche Art von elektronischer Musik: Techno, House, Hip-Hop, Disco, Drum ’n’ Bass oder Dub. Die Leute hatten immer eine Vielzahl an Genres zur Auswahl. Es gab außerdem TV-Shows wie Poplava, Zona X oder T-Grad und auch Radio-Shows, die wöchentlich gesendet wurden.
So gab es von vielen Seiten starken Support, der es der Szene ermöglicht hat, über all die Jahre hinweg stark zu bleiben. Die Community besteht heute aus einem Mix aus erfahrenen DJs auf der einen Seite und aufstrebenden Talenten, deren Produktionen bei vielen Labels auf Interesse stoßen, auf der anderen Seite.
Aktuell hat Skopje eine Vielzahl an Clubs, zum Beispiel Epicentar, Stanica 26, Sektor 909, Minus 1, Kapan An und den kürzlich eröffneten Klub 1212. Diese bieten eine Plattform für eine lebendige und gesunde Tanzmusik-Szene, in der man auch unter der Woche auf seine Kosten kommt. Skopjes Szene kann so mit der in allen führenden europäischen Städten Schritt halten. Die Musik bestimmt den urbanen Puls des Stadtlebens, und das ist der Charme, den diese Stadt versprüht.

Du lebst seit ein paar Jahren in Berlin. Welche Verbindung hältst du zwischen den beiden Städten?

Ich lebe nun seit knapp sieben Jahren in Berlin. Die Clubkultur der Stadt ist massiv und auf einem erheblich höheren Level als in Skopje. Ich habe hier viel gelernt. Gleichzeitig versuche ich, diese Erfahrungen nach Hause zu transferieren. Hier zu leben, hat mich auch gelehrt, das Potenzial, das wir zu Hause in Mazedonien haben, mehr zu schätzen. Gleichzeitig bin ich darauf bedacht, meinen Beitrag zur Techno-Szene in Skopje zu leisten, wann immer es mir möglich ist. Beispielsweise habe ich die „New Faces“-Nächte im Tresor kuratiert, im Rahmen derer ich viele talentierte DJs aus Mazedonien dazu eingeladen habe, ihre Kunst zu präsentieren. Ich halte so eine starke Verbindung zu meiner Stadt aufrecht und lade viele meiner Berliner Kollegen nach Skopje ein, um dort zu performen. Ich habe vor, das auch weiterhin zu machen.

Clubs

Sektor 909
Der Club liegt im Stadtzentrum und ist der führende Techno-, House- und Disco-Club in Mazedonien. Vor Kurzem im Line-up: Ryan Elliott und Steffi sowie lokale Talente.

Minus Eden
Möchte man mazedonischen House und Techno hören, ist man hier genau richtig. Lokale Künstler wie DJ Flooder und Zoki Bejbe spielen hier regelmäßig.

Epicentar
Der industrielle Look prägt den mazedonischen Club. Internationale Künstler wie Shlømo, Miss Kittin, Roi Perez und Mind Against sind dort ebenso gebucht wie Stojche. Seit seiner Eröffnung vor einigen Jahren ist der Club eine treibende Kraft in der Szene Skopjes.

Papaya
Laut Zoki Bejbe spielte der Club Papaya eine große Rolle für weibliche DJs in der Techno-Szene. Die ersten Partys mit einem „Female only“-Line-up fanden dort statt. Heute werden dort alle Genres aus dem Bereich der elektronischen Musik gespielt.

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Bars, Cafés und Restaurants

Skopje hat eine große Auswahl an Lokalitäten, die in ihrem Konzept ein hippes Café und eine coole Bar vereinen und den ganzen Tag elektronische Musik spielen. Was all diese Spots gemeinsam haben, ist aromatischer Kaffee. Mazedonier scheinen eine ausgeprägte Kaffeekultur zu pflegen und sind offen für Konzepte, die lokale Subkulturen und Kunst unterstützen.

Café Krug
Dieses Café befindet sich in Debar Maalo. Tolle Musik, guter Kaffee und nette Leute sind hier das Konzept. Der hölzerne Innenraum erinnert an Berliner Cafés, hat jedoch seinen ganz eigenen mazedonischen Charme.

Craft Café
Ist man auf der Suche nach aromatischem Kaffee und leckeren Cocktails, sollte das relativ neue Craft Café auf der Liste stehen. Top Baristas und Barkeeper lassen grüßen.

Izlet Kafe
Die Terrasse, die als Großstadtdschungel bezeichnet werden kann, lädt Gäste zu einem entspannten Kaffee am Nachmittag und zu Techno-Grooves am Abend ein.

Kamin Čamo
Ein rustikales Restaurant, das lokale Gerichte serviert. Weder trendy noch hip oder vegan, sondern traditionell. Echte Locals bestellen „Sarma“ – einen Wrap aus Weinblättern, gefüllt mit Bulgur oder Reis und Hackfleisch.

Kotur Kafei Film
Dieser geschichtsträchtige Ort liegt in einem versteckten und unauffälligen Hinterhof im Zentrum der Stadt. Darek eröffnete das Café, das gleichzeitig eine Bar und ein Kino beherbergt, im Oktober 2018. Als die Stadt noch vom Kommunismus beherrscht wurde, war dies der Ort, an dem Filme gesichtet wurden, bevor sie für die Öffentlichkeit freigegeben wurden.

Radio Bar, BKW und Kino Karposh
Geschmeidige Klänge beim Nachmittagskaffee oder bei einem Drink am Abend. Die Radio Bar liegt ebenfalls im In-Viertel Debar Maalo. Alte Radios, Kassetten und andere Vintage-Elemente prägen das Interior dieser Bar. Künstler aus dem Balkan kommen regelmäßig hierher, um ein Set zu spielen. Tipp: Das Radio-Bar-Feeling kann man sich durch den Livestream auf der Website auch nach Hause holen. Der Eigentümer der Radio Bar betreibt zwei weitere Lokalitäten: das BKW und Kino Karposh. Alle drei Konzepte fördern lokale Kunst und Subkultur.

Papu Bar
Die Café-Bar Papu entstand aus der Liebe zur Kunst und den lokalen Künstlern, die diese kreieren. In diesem Café trifft Kreativität auf Community – so unterstützt es aufstrebende und etablierte Künstler dabei, ihr Talent darzustellen. Auch lokaler Wein und Appetizer kommen hier nicht zu kurz.

Toto Daily Bistro
Der neue Brunch-Hotspot der Stadt mit extrafreundlichem Personal. Das Bistro eröffnete im Dezember 2018 und zieht junge Leute aus Skopje an. Tipp: Als Nachspeise unbedingt die Schoko-Tarte mit Cappuccino bestellen!

Vinyl
Vinyl und Kaffee klingt nach einer guten Kombination, oder? Das Café, das abends zur Bar wird, ist trendy, stylish und der Ort, an dem sich die Szene tagsüber trifft.

 

Aus dem FAZEmag 084/02.2019
Zuerst erschienen auf tunesandwings.com
Text & Fotos: Sabine Spethling
Press-Pic Stojce: Ana-Marija Radisavljevic

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