Vor zwei Jahren erschien im altehrwürdigen Suhrkamp Verlag ein Buch, das auf großartige Weise die Entstehung der Berliner Technoszene dokumentierte.
Für „Der Klang der Familie – Berlin, Techno und die Wende“ griffen die Autoren Felix Denk und Sven von Thülen auf den Stil der „Oral History“ zurück. Sie befragten zahlreiche Zeitzeugen und fügten deren Erzählungen zu einem endlosen Interview zusammen. Diese Technik hatte in Deutschland schon Jürgen Teipel mit seinem Buch „Verschwende Deine Jugend“ erfolgreich angewandt. „Der Klang der Famillie“ wurde ein großer Erfolg und ist sicherlich eines der besten Bücher zum Thema Techno. Zu Recht es daher auch abseits unserer Szene sehr viel Beachtung. Diesen Monat kommt nun auf ARTE eine Doku namens „Party auf dem Todesstreifen – Soundtrack der Wende“, die auf der Idee des Buches basiert und Interviews mit einigen der Protagonisten, aber auch historische Filmaufnahmen aus jener wilden Zeit zeigt.
Hallo Felix, hallo Sven, Hat euch der große Erfolg von „Klang der Familie“ eigentlich überrascht? Das Werk hat ja nicht nur innerhalb der Technoszene und nicht nur bei „Altravern“ oder Nostalgikern für enorme Begeisterung gesorgt…
Felix: Total überrascht. Wir waren schon superfroh, dass wir einen Verlag gefunden haben, der an das Projekt geglaubt und uns unterstützt hat. Und dass sich dann so viele Leute so viel Zeit genommen haben, um uns ihre Erinnerungen zu erzählen. Mich hat sehr gefreut, dass das Buch auch als eine zeitgeschichtliche Dokumentation wahrgenommen wurde.
Sven: Ja, das war eine große Überraschung. Wir waren uns bis zum Erscheinen letztlich immer mal wieder unsicher, ob man der Geschichte als Außenstehender durchweg folgen kann. Wir steckten da einfach so tief drin, dass wir das teilweise nicht mehr so recht einschätzen konnten. Unser Ziel war es, das Lebensgefühl und die Motivation der Protagonisten so eindrücklich und nachvoll ziehbar wie möglich rüberzubringen. Dahingehend hat uns das Feedback auf das Buch natürlich sehr glücklich gemacht.
Warum hat es zuvor eigentlich kaum vernünftige und detaillierte Bücher über die Geschichte der Berliner Technoszene gegeben? Brauchte es für ein solches Buch, um einen solchen Rückblick zu machen, einfach einen längeren zeitlichen Abstand?
Felix: In den 90er-Jahren wurde ja schon viel zu Techno geschrieben. Die neuen Klänge haben eine starke Deutungswut angeknipst. Damals wurden auch einzelne Szenen genauer untersucht – meist soziologisch. Etwa die Gabberszene in Rotterdam, die Raveszene von „Madchester“ usw. Ehrlich gesagt bin ich auch überrascht, dass das niemand mit Berlin und der speziellen Dynamik der Wiedervereinigung gemacht hat. Die Idee liegt ja auf der Hand. Es gibt sogar einen amerikanischen Soziologieprofessor, der einige Jahre über die Loveparade geforscht hat. Der hat den Aspekt gar nicht erwähnt, dass das ja Kids aus Ost und West waren, die da zum ersten mal gemeinsam gefeiert und das groß gemacht haben.
Wie lange hat die Vorbereitung und Arbeit an dem Buch insgesamt gedauert, worin bestand für euch die besondere Schwierigkeit?
Sven: Die Vorbereitung hat sich in Wellen über einige Jahre hingezogen. Wobei sich auch die inhaltliche Ausrichtung gewandelt und fokussiert hat. Die Ursprungsidee war ja, ausgelöst durch die damals angekündigte Schließung des Tresor in der Leipziger Straße, das symbiotische Verhältnis von Berlin und Detroit, das sich ab 1991 rund um den Tresor und Hard Wax entwickelte, zu erzählen. Irgendwann war dann aber klar, dass das nur ein Baustein für eine größere Erzählung sein konnte. Die Hauptherausforderung war, einen Verlag zu finden, was dann nach ein paar Anläufen auch geklappt hat. Letztlich haben wir dann knapp anderthalb Jahre konsequent nichts anderes gemacht als Interviews zu führen, Interviews abzutippen und Interviewbrocken zu montieren.
Was war die für euch interessanteste Erkenntnis, die ihr aus all den Interviews gewonnen habt?
Felix: Dass die Zeit damals niemanden kalt gelassen hat. Bei den Interviews hatte ich das Gefühl, dass die Leute aus extrem intensiven Jahren berichteten. Und das sind ja alles Menschen, die die Stürme des Lebens durchaus miterlebt haben.
Sven: Ich fand unglaublich spannend, welche Parallelen es rein stimmungstechstimmungstechnisch kurz vor dem Mauerfall offensichtlich zwischen Ost- und Westberlin gab – Stagnation und Langeweile – und was für ein Freiheitsgefühl sich dann dank der Situation nach dem Mauerfall in der Stadt verankern konnte. Und letztlich, dass diese Freiräume und zeitweise anarchischen Zustände in Ostberlin von den unterschiedlichen Szenen und Aktivisten in den ersten Jahren fast durchweg positiv und kreativ genutzt wurden.
Felix: Traurig fand ich hingegen, wie wenige der Freiräume von damals erhalten blieben.
Wie hat die erlebte Technogeschichte ihre Protagonisten aus heut iger Sicht verändert?
Felix: Wenn man in die Gesichter schaut, sieht man a uf jeden Fall einige Augenringe und viele tiefe Lachfalten. Die meisten haben bis heute dieses übernächtigte Charisma der Partymenschen.
Sven: Ich denke für die meisten war es einer der prägendsten, wenn nicht sogar die prägendste Zeit ihres Lebens. Egal, ob Techno in ihrem Alltag jetzt noch eine größere Rolle spielt oder nicht.
In de n 90er-Jahren, aber auch noch später, gab es in den Medien oft sehr einseitige, subjektive Darstellungen über die Geschichte von Techno in Deutschland und über die von Techno in Berlin. Oft waren es die gleichen Gesprächspartner, die ihre Sicht der Dinge darstellten, gerade das Low Spirit Label war dahingehend überpräsent. Wie habt ihr solcher „Geschichtsglättung“ entgegengewirkt, wurde das durch die gewählte Form der „Oral History “ und die Vielzahl an Interviewpartnern automatisch unterbunden?
Felix: Was eine Oral History gut kann, ist einen Gegenstand aus vielen und ganz unterschiedlichen Blick winkeln zu betrachten. Das ist ja eine vielstimmige Erzählform . Was wir vermeiden wollten, war eine kollektive Hagiografie, also das Leute nur über ihre biographischen Greatest Hits sprechen, sondern auch mal über Fehler und Enttäuschungen. Deshalb, aber auch weil die Technoszene ein starkes Gleichheitsgefühl hatte – keine Stars, hieß es zu Anfang –, haben wir möglich st unterschiedliche Leute gefragt, eben nicht nur DJs und Produzenten, sondern auch Partyveranstalter, Türsteher, Raver, Grafiker usw. Leute, die für die Szene total wichtig waren, aber eben nicht in der ersten Reihe standen.
Was fasziniert euch generell am Format „Oral History“, das in Deutschland schon seit „Verschwende deine Jugend“ von Jürgen Teipel erfolgreich umgesetzt wird?
Felix: „Verschwende Deine Jugend“ fand ich extrem beeindruckend. Damals war das Schreiben über Pop sehr von der Spex geprägt – akademisch, theoretisch, kopflastig, weit weg von den Ereignissen. Mit so einer Erzählform gab es plötzlich eine ganz andere Unmittelbarkeit, die ich so noch nicht kannte. Jedenfalls nicht aus Deutschland.
Sven: Durch die Vielstimmigkeit mit all ihren Widersprüchen und unterschiedlichen Interpretationen und Wahrnehmungen, hat man das Gefühl sehr dicht dran zu sein, im Geschehen zu sein. Das Format war der wichtigsten Anreize für uns, das Buch zu schreiben. Ich hätte keine klassische historische Aufarbeitung der Berliner Technoszene schreiben wollen.
Wann kam euch die Idee, das Buch zur Grundlage für eine Dokumentation zu machen?
Felix: Gar nicht, ehrlich gesagt. Eine kleine Filmproduktionsfirma kam mit der Idee auf uns zu.
Sven: Wir haben uns dann in einem Café getroffen. Eine Doku für ARTE zu drehen, fanden wir dann natürlich schon sehr spannend.
Wer hat euch bei der Adaption unterstützt? Was gefiel euch bei der Arbeit an der Doku besonders?
Felix: Sven und ich haben das Drehbuch geschrieben und die Interviews geführt, Rolf Lambert die Regie und Gunther Kreis den Schnitt gemacht. Abgesehen vom Teamwork hat mir Spaß gemacht, die Bilder zu den Geschichten, die wir schon vom Hören kannten, zu sehen. Von vielen dieser schrägen Partys in Bunkern und Schaltzentralen gibt es noch alte Aufnahmen.
Sven: Ohne die ganzen Originalaufnahmen wäre es natürlich schwierig geworden, die Doku zu bebildern. Von daher sind wir allen, die ihr Archiv für uns geöffnet haben, sehr dankbar. Altes, bisher ungesehenes Material zu finden, hat ziemlich viel Spass gemacht. Das hatte immer etwas von einer Schatzsuche.
Wie haben sich denn die Interviews im Film zu denen im Buch unterschieden?
Sven: Für die Doku haben wir gezielter gefragt. Es gab ja schon ein erstes Skript mit einem inhaltlichen Fahrplan. Die Doku ist auch keine Verfilmung des Buches. Das kann man in 52 Minuten ja nicht annähernd leisten. Unser Hauptaugenmerk liegt darauf, die Anfänge von Techno in den Wendewirren als Gemeinschaftsprojekt der Kids aus Ost und West zu erzählen. Daher verlassen wir in der Doku auch an einer Stelle Berlin und gehen nach Leipzig.
Sind durch die Interviews für den Film zusätzliche Geschichten, die im Buch noch nicht erwähnt waren, aufgetaucht?
Sven: Es tauchen immer wieder Anekdoten und Geschichten auf, die wir bis dato nicht kannten. Wir haben auch noch eine Menge Interviewmaterial, das es aus Platzgründen damals nicht ins Buch geschafft hat. Vielleicht gibt es irgendwann mal eine Ausgabe mit Bonus-Beats…
Welcher Gesprächspartner hat euch am meisten beeindruckt und welche Anekdote aus Buch und Film hat euch speziell amüsiert oder inspiriert?
Sven: Da kann man niemanden herausheben. Wie hat Johnnie Stieler es im Buch gesagt: die frühe Berliner Technoszene war eine „unglaubliche Personality Show“. Es gibt auch einfach zu viele lustige, traurige und haarsträubende Geschichten aus der Zeit.
Besteht bei einer filmischen Auseinandersetzung nicht immer auch die Gefahr, durch die am Ende zusammengeschnittene Filmlänge nur einen komprimierten Teil der Interviewpartner und der Geschichte selbst darstellen zu können?
Sven: Eine Fernseh-Doku ist natürlich etwas ganz anderes als ein Buch, wo man viel erklären und allein vom Platz her sehr komplex erzählen kann. Natürlich birgt das Risiken. Da wir aber nie vorhatten, das Buch eins zu eins zu verfilmen, haben wir uns mit der gleichen Neugier wie beim Buch in die Arbeit gestürzt. Felix und ich waren ja beide total unerfahren, was das Medium Film/Fernsehen angeht. Für uns war die Arbeit von daher auch ein sehr spannender Lernprozess.
Wie lief die Auswahl der Musik für „Party auf dem Todesstreifen – Soundtrack der Wende“ ab? Was war euch dabei wichtig?
Sven: Zum einen haben wir Tracks ausgesucht, die eine große narrative und emotionale Kraft haben. Zum anderen natürlich welche, die damals wichtig waren und oft gespielt wurden. Dazu kamen dann noch eigens für die Doku produzierte Tracks. Nur alte Stücke zu lizensieren hätte unser Budget komplett gesprengt.
Wenn ihr die heutige Szene in Berlin, mit all den Clubs, Bars und Touristen, mit der aus der Anfangszeit vergleicht, welche Dinge sind heute deutlich besser und welche „Ideale“ sind möglicherweise verloren gegangen?
Sven: Die ganz frühen Jahre haben wir in Berlin nicht miterlebt, von daher kann ich als Zeitzeuge nur ab Mitte der 90er-Jahre sprechen. Man kann die Szene damals und heute auch nur schwer vergleichen. Damals ging es um den Rausch des Moments. Das Spannende war, dass nichts für die Ewigkeit gedacht war. Einen Club machen, eine Galerie, DJ sein, das waren keine von vorne bis hinten durchgeplanten Unternehmen oder Karrieren. Es war ein großes Experiment mit offenem Ausgang. Heutzutage hast du diese Freiheit gar nicht mehr, der ökonomische Druck ist viel größer. Es gibt auch kaum noch die Möglichkeit, Räume zu entdecken und mit neuem Leben zu füllen. Alles, was damals neu war, ist ja mittlerweile schon zigfach wiederholt worden. Gleichzeitig erlauben es die Strukturen, die in den letzten 25 Jahren aufgebaut wurden, der Szene langfristig zu planen und zu wirtschaften. Aus einer Subkultur wurde eine globalisierte Kultur. Gemessen an den anarchischen Anfängen der Neunziger mag man das mit einer gewissen Ernüchterung betrachten. Und trotzdem kann ein Club nach wie vor ein Freiraum sein.
Viele, die „von Anfang an“ dabei waren, sahen in den frühen 90ern, als es mit Techno so richtig losging, eine große Chance, dass diese Musikbewegung die Gesellschaft verändern konnte. War diese Chance wirklich da, oder ist die Musik wie viele andere Stile in die Aufsplittung in unzählige Subgenres und die Kommerzialisierung zum Opfer gefallen und dadurch schon lange nicht mehr so wegweisend wie einst?
Felix: Mindestens Berlin hat Techno nachhaltig geprägt. Die Stadt profitiert bis heute im hohen Maße davon. Brachen besetzen, Nischen nutzen – was die Club- und die Kunstszene damals vorgemacht hat, ist heute gängige Praxis, nicht nur im Kulturbetrieb. Und wird als Kern der Attraktivität der Stadt verstanden. Auch wenn die Freiräume schon längst schwinden.
Wichtige Voraussetzungen für die Entwicklung von Techno in Berlin war natürlich auch die plötzlich entstandene Freiheit durch den Fall der Mauer und die durch diese Situation entstandenen Möglichkeiten. Wäre eine solche Musikgeschichte in einer vernetzten Welt wie heute überhaupt irgendwo noch denkbar?
Felix: Schwer zu sagen. Heute fehlt die Inkubationszeit für neue Szenen und Musikrichtungen. Das sind schon ganz andere Bedingungen. Die Szene damals lebte stark von den Freiräumen, die sich plötzlich boten. Und auch von einer guten Portion Heimlichkeit.
Habt ihr weitere Pläne für eine Zusammenarbeit in literarischer Form oder mit dem Medium Film? An was arbeitet ihr momentan?
Sven: Wir arbeiten gerade an der englischen Übersetzung von „Der Klang Der Familie“, darüber hinaus gibt es noch keine konkreten Pläne für neue gemeinsame Projekte. Aber das kann sich ja auch ändern. Zur Zeit konzentriere ich mich wieder auf meine Arbeit als Journalist, DJ und Produzent.
Felix: Ich schreibe gerade ein neues Buch, aber zu einem vollkommen anderen Thema. Ansonsten arbeite ich als Journalist und habe mit Musik nur noch gelegentlich zu tun.
Erstausstrahlung
So, 27.07.14 um 23:05
Weitere Sendetermine:
Fr, 01.08.14 um 3:05 Uhr
Fr, 15.08.14 um 1:35 Uhr
In der Mediathek bis zum 03.08.14: www.arte.tv/guide/de/049247-000/party-auf-dem-todesstreifen?autoplay=1
Interview aus dem Heft #029/07.2014
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