Techno-Pionier Alex Azary über das Momem, den HYTE-Podcast und die aktuelle Situation: Ein Interview

Foto by Daniel Woeller
Postproduction by Meike Wittenstein
Remix by Schultzschultz

Hallo Alex, wir hoffen, es geht dir und deiner Familie, in dieser besonderen Zeit, gut. Wir haben 2018 das letzte Mal ein Interview mit dir gehabt und seitdem ist einiges passiert. Nachdem ihr im Sommer 2018 bereits die Schlüsselübergabe für die Location an der Frankfurter Hauptwache zelebriert habt, gab es danach dann doch noch einige Probleme mit eurem geplanten Projekt, dem „MOMEM“ (Museum of Modern Electronic Art). Welche Zwischenfälle gab es und konntet ihr alles bewältigen?

Ja, vielen Dank, uns geht’s den Umständen entsprechend gut – ist schon ein verrücktes Jahr, aber wir machen das Beste daraus. Das stimmt, wir hatten eigentlich vor 2019 bereits zu eröffnen, aber leider sind wir für einige Zeit zum Spielball der Lokalpolitik geworden. Unser ursprünglicher Plan war Ende des Jahres mit der Electro – from Kraftwerk to Daft Punk – Ausstellung der Pariser Philharmonie zu eröffnen, die jetzt aktuell im Design Museum in London stattfindet. Da war auch schon alles fest geplant, die Verträge lagen unterschriftsbereit auf dem Tisch. Das wäre natürlich ein perfektes Opening gewesen. Trotzdem haben wir uns nicht entmutigen lassen und konnten in zahlreichen persönlichen Gesprächen mit den politisch Verantwortlichen – und schließlich auch die Parteien untereinander – dann doch noch einen Weg finden, die für das MOMEM zugesagten Mittel freizugeben und damit das MOMEM zu ermöglichen.

Wie wir gehört haben, sollte die Eröffnung des MOMEMs für September 2020 geplant sein und ihr habt auch schon mit den Umbauarbeiten begonnen. Wir können uns vorstellen, dass es jetzt, durch Corona, noch andere Komplikationen gegeben haben könnte. Wie läuft der Umbau und für wann ist jetzt die Eröffnung geplant?

Das ist richtig, zuletzt hatten wir die Eröffnung für September 2020 geplant. Ab Januar hat die Umbauplanung begonnen und ursprünglich hatten wir sogar vor, noch vor dem Sommer zu eröffnen. Aber das Thema war spätestens im März erstmal vom Tisch. Insofern sind wir auch von der Corona Krise betroffen, nicht nur weil sich der Umbau schwieriger gestaltet hat, auch viele geplante Meetings und Gespräche über Kooperationen mussten erstmal verschoben werden, unsere Ansprechpartner waren im Home Office oder gar nicht zu erreichen. Entscheidend ist aber die Tatsache, dass wir zur Eröffnung mehrere tausend Besucher erwarten, insofern können wir erst eröffnen, wenn auch Clubs und Veranstaltungen wieder stattfinden können. Deshalb haben wir die Eröffnung erstmal auf September verschoben, auf Grund der Vorgaben aus Berlin peilen wir im Moment den November an. Aktuell haben wir Umbauphase 1 abgeschlossen und beginnen gerade mit der Umbauphase 2, dh. alles was an Einbauten vom Kindermuseum vorhanden war, wurde zurückgebaut bzw. entfernt und die Renovierung der Räume ist abgeschlossen. Jetzt beginnt gerade der Einbau der MOMEM Einrichtung, bevor wir dann in Phase 3 den Aufbau der Ausstellung umsetzen. Auch wenn es immer noch Corona bedingt immer mal wieder zu Lieferschwierigkeiten oder anderen Komplikationen kommt, gehe ich davon aus, dass wir im November eröffnen können.

Ihr habt eine Mixserie in Kooperation mit HYTE, bei der vor kurzem der Mix 10 rausgekommen ist. Kannst du unseren Lesern etwas über den Entstehungsprozess dieses Projekts erzählen?

Die Idee kam im Rahmen eines Chats mit Michi Weicker von HYTE über die ganzen Livestreams auf… letztendlich habe ich in den Raum gestellt, dass das Format das Erleben der Musik nicht wird ersetzen können und dass es mir persönlich auch wichtiger wäre, wirklich neue Musik zu hören, statt am Rechner einem DJ beim Auflegen zuzuschauen. Zumal es aktuell wieder einmal so unglaublich viele gute und innovative Releases, Labels und Produzenten gibt und durch die geschlossenen Clubs und abgesagten Festivals viele Leute die besten Tracks wahrscheinlich gar nicht zu hören bekommen. Michi erzählte uns, dass HYTE da gerade verschiedene Ideen hat, neue Formate zwischen Podcast, Streaming und Radio zu entwickeln und neue Künstler vorzustellen, worauf wir gleich gesagt haben, dass wir uns einen Podcast sehr gut vorstellen können.

Wie kam es zu dem Namen „Ahead of the Curve“ und war von Anfang an klar, dass du die Mixe mit Mr. Rod gemeinsam machen willst?

Mit Mr. Rod lege ich inzwischen seit mehreren Jahren gemeinsam auf, außerdem hatte er auch den Chat mit Michi angeschoben und mich dazu geholt, insofern war das ganz klar, dass wir das gemeinsam machen. Wenn wir auflegen, spielen wir meistens zu zweit die ganze Nacht alleine, so dass unser Set auch soundmäßig immer eine Kurve über Genregrenzen hinweg macht. So sollte auch unser Podcast werden, quasi wie eine Clubnacht kondensiert in einen 60 min Mix gepackt, von einem soften Einstieg über einen groovigen Partystarter-Part bis zum Peak und schließlich zum Ende hin nochmal etwas wegfloaten. Für uns sind bei der Auswahl der Tracks die Attribute Aktualität, Sound, Quality und Innovation wichtiger als die Frage ob es sich um Electro, House, Acid, Techno, Rave, Dubtech oder DeepHouse usw. handelt – im Gegensatz zu vielen aktuellen DJ Sets, die sich oftmals nur innerhalb eines Genres bewegen. Mich inspirieren z.Zt. vor allem Tracks die von der neuen Generation produziert wurden, aber den Spirit der Anfangszeit so perfekt einfangen als wären sie 92 schon dabei gewesen. Als wir uns dann überlegen sollten wie wir den Podcast nennen wollen, lag wegen dem Corona Thema zum einen und der Aktualität bei der Trackauswahl zum anderen der Titel „Ahead of the Curve“ eigentlich nahe. Der Name ist quasi auch Programm.

Eine Frage zur aktuellen Situation: Als Pionier der Frankfurter Techno- und Elektroszene hast du die Entwicklung der Clubs, des Clublebens und die Ausbreitung der Szene hautnah miterlebt und geprägt. Wie geht es dir, wenn du daran denkst, dass fast eine ganze Kulturszene nahezu vor dem Aus steht. Wie zufrieden bist du persönlich mit der Hilfe und dem Verständnis, welche(s) unsere Szene aktuell bekommt?

Damit kann man natürlich nicht zufrieden sein und ich hoffe sehr, dass da doch nochmal bald ein Umdenken seitens der Politik stattfindet, zumal ja offensichtlich genug Geld vorhanden ist. Die Verteilung der Mittel ist genau genommen skandalös und wird bestimmt auch nochmal ein großes Thema werden, sobald da mal genauer hinter die Kulissen geschaut wird. Es gibt ja inzwischen mehr als genug Zahlenwerk und Statistiken, die belegen, dass Clubs, Festivals und Events ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und auch Arbeitgeber sind. Schlimm genug, dass man solche Statistiken bemühen muss, um Aufmerksamkeit bei der Politik zu bekommen, denn Clubkultur ist so viel mehr – sie ist Brutstätte für Innovation und Kreativität, aber auch der soziale Kitt der Gesellschaft. Da muss man auch genau aufpassen, wenn es um Hilfe für die Kultur geht, denn wenn Politik von Kultur spricht sind meistens vor allem Schauspiel, Theater, Oper und Orchestermusiker gemeint und eben nicht die freie Szene, die auch unter normalen Umständen meistens schon zu kämpfen hat. Hier fällt der Clubkultur leider auf die Füße, dass man es versäumt hat, sich in den letzten Jahrzehnten zu organisieren. Einen sehr guten und wichtigen Job macht da die Clubkommission in Berlin, eigentlich der einzige Verband der da Lobbyarbeit betreibt und das muss von der Szene auch noch mehr unterstützt werden, denn nur gemeinsam und mit vereinten Kräften kann man hier für Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit sorgen. Deshalb haben wir zB. auch die „Night of Light 2020“ unterstützt, aber neben den Firmen, Clubs und Veranstaltern muss man auch dafür sorgen, dass Künstlern, DJs und sogenannten Solo- Selbstständigen nicht nur ein Existenzminimum zugestanden wird, sondern dass auch die durch den Lockdown entstandenen Einnahmen Ausfälle kompensiert werden. Hier muss man sich auch neben der etablierten und subventionierten Kulturszene lautstark bemerkbar machen, denn leider ist es nun mal so, dass man nur so auch bei der Verteilung berücksichtigt wird. Clubkultur ist sehr viel mehr als nur feiern und tanzen, das muss nun endlich von der Gesellschaft realisiert werden und wir wollen auch im MOMEM versuchen dies aufzuzeigen.

Vielen Dank lieber Alex für das umfassende Statement. Wir freuen uns auf die Eröffnung des MOMEMs und wünschen euch alles Liebe! 

 

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