Wenn Drogenkonsum zu einer Psychose führt: Florian Reisewitz teilt seine Geschichte

48423185_664930570571033_3089614608760045568_n

Florian Reisewitz erkrankte während seines Zivildienstes das erste Mal an einer schizoaffektiven Psychose, wusste eine ganze Zeit aber nichts davon. Erst der Besuch bei einem Neurologen brachte Klarheit in sein damaliges, rauscherfülltes Leben. Mitte der 1990er-Jahre rutschte der heute 42-Jährige in eine Szene, in der er die ersten Erfahrungen mit Drogen machte. Durch die sogenannte Goa-Szene, die er auch als »gut organisierte Wochenendweltflucht« umschreibt, kam er in Kontakt mit synthetischen Drogen wie Ecstasy, MDMA, Speed und LSD, die ihm dabei halfen, dem Alltag zu entfliehen. Mit Sicherheit kann man heute sagen, dass der damalige Drogenkonsum nicht unverantwortlich dafür war, dass Florian an einer Psychose erkrankte. In seinem Buch und im persönlichen Interview erzählt er mehr über seine damaligen Drogenexzesse sowie seine Erfahrungen und Erkenntnisse, aus denen er lernen durfte. Denn mit einer Psychose ist nicht zu spaßen. Das weiß er nun, über zwanzig Jahre später.

Gemeinsam mit dem Balance buch + medien verlag verlosen wir fünf Exemplare seines Buches „Von Goa nach Walsrode: Auf Drogen und Psychosen“. Um am Gewinnspiel teilzunehmen, schickt eine E-Mail mit dem Betreff „Auf Drogen und Psychosen“ an win@fazemag.de. Teilnahmeschluss ist der 10. April 2019. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Für all diejenigen, die sich nicht sicher sind, ob sich bei ihnen auch eine Psychose bemerkbar macht oder schon ausgebrochen ist, gibt der Autor am Ende des Interviews Tipps, wie man mit einer Psychose oder mit Betroffenen einer Psychose umgehen kann. Viel Spaß beim Lesen.

Inhaltsangabe des Buches:

Mit 18 Jahren kommt Florian Reisewitz in Berührung mit der Goa-Szene – einer Musik-Szene, die wie kaum eine zweite mit dem Konsum von psychedelischen Drogen verknüpft ist. Eine Tatsache, die nicht ohne Folgen bleibt.

Mitreißend und ehrlich beschreibt der Autor, wie sich schleichend eine Psychose nähert, die ihn mehr als einmal in die Psychiatrie nach Walsrode führt. Ein Erfahrungsbuch – und mehr als das: ein Insiderbericht über eine besondere Partylandschaft, eine eindrückliche Schilderung von wahnhaftem Erleben und ein empathischer Blick auf das hartnäckige Engagement, aber auch auf die zeitweilige Hilflosigkeit von Helfenden.

Interview mit Florian Reisewitz:

Hallo Florian. Für alle, die dein Buch nicht kennen: Erkläre doch bitte kurz, wie du damals in gewisse Drogenkreise „geraten“ bist und wie dein Leben zur damaligen Zeit aussah?

Hallo Denise. Also im Alter von 17 Jahren habe ich mit dem Kiffen angefangen. Damals war ich schlicht neugierig. Ein guter Freund hatte mir viel vorgeschwärmt vom entspannenden Effekt, dass man viel lacht, es einfach Spaß macht. Da sich das alles für mich bestätigte, wurde ich schnell ein überzeugter Kiffer. Etwa ein Jahre später, ich bereitete mich gerade auf mein Abitur vor, wurde ich auf elektronische Musik aufmerksam. Das war Mitte der 1990er Jahre. Techno war im Begriff, ein Massenphänomen zu werden. Auch mich faszinierten die Parties schnell, die Freiheit und Ungezwungenheit dort, das Wilde, Ekstatische. Schon bald erfuhr ich dann von einer Subszene, dem Psytrance und den Goa-Parties. Die Musik überwältigte mich förmlich, ebenso die Freundlichkeit der Szene. Auf den Goa-Parties wurde meine Neugier auf die Wirkung der dort verbreiteten Drogen wie Ecstasy und LSD schließlich so groß, dass ich bisherige Bedenken über Bord warf. Vor allem Ecstasy wurde zu einer Offenbarung für mich. Bald ging ich jedes Wochenende auf Parties, der Mischkonsum nahm zu. Ich sammelte Erfahrungen mit Psilocybin, Lachgas, Amphetamin, Kokain, MDMA und LSD.

Wie haben sich dann die ersten psychotischen Anzeichen bemerkbar gemacht?

Es gab so Vorwarnzeichen. Schon als ich nur gekifft hatte, erlebte ich ab und zu Formen von Paranoia: Ich dachte, meine Freunde redeten schlecht über mich, bildete mir ein, sie könnten meine Gedanken lesen. Später erlebte ich auf LSD einen heftigen Horror-Trip: Ich konnte meinen Körper nicht mehr spüren, hatte unglaublich Angst, die Kontrolle zu verlieren und nicht mehr „zurück zu kommen“.

Manche Psychiater sprechen übrigens vom LSD-Trip als einer Art Modell-Psychose: Beiden ist zu eigen, dass die üblichen Filter in der Wahrnehmung wegfallen. Unser Gehirn filtert unsere Sinneswahrnehmungen ja unentwegt in wichtig und unwichtig. Auf Trip und während einer Psychose funktioniert das nicht mehr richtig, alles um dich herum kann plötzlich mit Bedeutung aufgeladen sein.

Und genau das passierte mir dann auch unter der Woche, ohne gerade „auf Droge“ zu sein: Immer mehr Details aus meiner Umgebung „sprachen“ zu mir, ich nahm vieles nicht mehr als Zufall war. Die Kennzeichen von Autos zum Beispiel enthielten mit einem Mal eine geheime Botschaft an mich. Auch aus der Farbe eines Autos vor mir, oder ob es nach links oder rechts blinkte, zog ich Rückschlüsse darüber, wie meine Umwelt gerade über mich denkt. Das nennt man Beziehungswahn: Man bezieht alle Geschehnisse auf sich selbst, lädt sie mit Bedeutung auf.

Und die Empfindung, die Gedanken anderer lesen zu können, wurde noch intensiver. Schließlich entwickelten sich ganze Wahngebäude: Ich war überzeugt, Teil eines Experimentes zu sein, bei dem unauffällig aber systematisch synthetische Drogen an mir getestet worden waren.

Glaubst du, dass der Auslöser dafür (auch) der regelmäßige Drogenkonsum war?

Auf jeden Fall. Allerdings sehe ich den Drogenkonsum nicht als alleinigen Auslöser. Aus heutiger Sicht beurteile ich das so, dass ich eine gewisse Veranlagung, eine psychische Disposition für eine Psychose schon immer hatte. Vielleicht wäre ich auch ohne die Drogen irgendwann erkrankt, zu großer Stress kann bei mir nämlich auch ein Auslöser sein. Das habe ich Jahre später leider erfahren müssen, als ich schon lange keine Drogen mehr nahm. Als ich in der Abschlussphase meines Studiums war, kam einiges zusammen: Die bevorstehenden Prüfungen setzten mich unter Druck, in meiner Beziehung kriselte es und auch familiär lagen ein paar Dinge im Argen. Da bin ich dann nochmal psychotisch geworden.

Im Grunde ist es aber wirklich schwer zu sagen. Vielleicht ist es auch so, dass der Drogenkonsum mich insgesamt erst so verletzlich gemacht hat, dass mittlerweile auch übermaßiger Stress ein Auslöser für die Psychose sein kann.

Wurde dir auch ohne die Bestätigung eines Arztes bewusst, dass du unter einer Psychose leidest?

Nein, das wurde mir definitiv nicht selbst bewusst. Das war das hinterhältige an der Psychose, dass ich meine verschobene Realitätswahrnehmung nicht hinterfragt habe, nicht hinterfragen konnte. Im Gegenteil, die ganzen wahnhaften Gedanken kamen mir selbst völlig schlüssig und logisch vor.

Nachdem du erkannt hast, dass „etwas nicht stimmt“, wie bist du fortan mit deiner Situation umgegangen?

Zunächst mal habe ich den Drogenkonsum eingestellt, allerdings bis auf das Kiffen. Aber auch das habe ich schließlich ganz gelassen, da mich die leichte Paranoia, die ich weiterhin beim Kiffen erlebte, zu sehr an psychotische Zustände erinnerte. Ich vertraue auf die Hilfe durch Medikamente, trotz mancher unangenehmer Nebenwirkung. Deshalb nehme ich weiterhin präventiv ein Neuroleptikum ein. Das war nicht immer unumstritten bei mir selbst, aber meine persönliche Erfahrung hat mich gelehrt, dass ich so besser fahre. Und ich achte sehr auf mein Stresslevel. Dafür habe ich Entspannungstechniken wie Autogenes Training, Meditation und Achtsamkeit erlernt, um mit Stressspitzen besser umgehen zu können. Regelmäßiger Ausdauersport hilft mir zusätzlich, den Kopf freizubekommen und einfach mal abzuschalten. Darüber hinaus habe ich mir ein Netzwerk aufgebaut, das mir hilft, auf mich zu achten. Meine Partnerin, meine Familie, engste Freunde, sie alle sind informiert und sensibilisiert, würden mir rückmelden, wenn sich ein neuer psychotischer Schub ankündigt. Und gegebenenfalls die nötigen Schritte einleiten, wie notfalls eine Einweisung in eine psychiatrische Klinik, wenn ich selbst das nicht mehr kann. Das alles sind Lern- und Entwicklungsprozesse, die zum Teil Jahre gedauert haben.

Haben deine Freunde nichts gesagt oder dagegen unternommen, als sie gemerkt haben, dass du dich irgendwie veränderst bzw. dich abkapselst?

In meinem Freundeskreis war ich der Erste mit solchen Problemen. Daher konnten meine Freunde die Erkrankung zunächst auch nicht konkret als Psychose erkennen und richtig einordnen. Da war einfach Unwissen und Überforderung vorhanden. In den ersten akuteren Situationen haben meine Freunde noch versucht, durch Gespräche beruhigend auf mich einzuwirken. Und dann ging alles sowieso recht schnell und die Psychose brach so massiv durch, dass meine Eltern, bei denen ich damals noch wohnte, mich in die Psychiatrie einlieferten.

Hast du dich durch den Drogenkonsum verändert?

Auf jeden Fall. Als Teenager war ich eher introvertiert und habe mich lieber im Hintergrund gehalten. Habe die anderen beobachtet und mir meinen Teil gedacht zu allem. Durch die Drogen bin ich kommunikativer geworden und selbstbewusster. Mutiger. Auch wenn ich schon lange keine Drogen mehr nehme, außer ab und zu den legalen Alkohol, so haben sich diese Erfahrungen doch eingeprägt. Heute kann ich davon sozusagen zehren, da ich mich auch mal anders erlebt hatte und weiß, dass ich auch selbstbewusster in Situationen gehen kann. Generell erlebe ich mich mittlerweile aber wieder eher als zurückhaltend.

Als ich die Drogen noch genommen hatte, gab es allerdings auch negative Veränderungen meiner Persönlichkeitsstruktur. Gerade das Kiffen hat ja nicht nur entspannt, sondern mich vielem gegenüber gleichgültig gemacht. Und durch die Party-Drogen war ich damals dann öfter unkonzentriert, dünnhäutiger, leichter genervt, einfach übertrieben in meinen Reaktionen.

Wie lange musstest du mit deiner Psychose kämpfen?

Das ist nicht so einfach zu beantworten. Die Diagnose kam, als ich 20 Jahre alt war. Die darauf folgenden fünf Jahre waren sehr stark von den Aufs und Abs der Erkrankung geprägt. Vor allem die sogenannte Negativ-Symptomatik in Form von Antriebslosigkeit und Depression, quasi als Nachhall der wahnhaften Plus-Symptomatik, hat mich immer wieder monatelang gelähmt. Dann durfte ich ein paar ruhigere Jahre erleben, in denen die Erkrankung nicht so präsent war.

Mit 32 Jahren erlebte ich überraschend noch einen weiteren psychotischen Schub, den bisher letzten. Das ist nun wiederum zehn Jahre her. Ich hoffe sehr, dass ich keinen weiteren Schub erfahren muss. Aber eine Garantie dafür gibt es nicht. So ganz ist der Kampf für mich also nie vorbei, schätze ich.

Glaubst du, dass die Goa-Szene und der damit verbundene Drogenkonsum ausschlaggebend gewesen ist für deine Psychose? Wenn du niemals in diese Szene gerutscht wärst, denkst du, dass du keine Psychose erlitten hättest?

Da habe ich immer wieder drüber nachdenken müssen. Das fühlte sich aber immer mehr wie ein Hadern an, ein „Was wäre wenn“ und ein „Ach hätte ich doch“ dies oder jenes gelassen. Und das kostet Kraft und bringt mich letztlich nicht weiter. Heute denke ich schon, dass in meiner persönlichen Geschichte die Goa-Szene, der Drogenkonsum und meine Psychose eng miteinander verknüpft sind, vermutlich sogar in einem ursächlichen Zusammenhang stehen.

Gleichzeitig ziehe ich es vor, zu denken, dass ich auch ohne meine Erfahrungen in der Goa-Szene wahrscheinlich irgendwann eine Psychose erlitten hätte. Eben wegen jener Veranlagung, von der ich schon sprach. Dieser Gedanke versöhnt mich mit meiner Entscheidung zum Drogenkonsum, die ich damals für eine gewisse Zeit getroffen hatte. So konnte ich meinen Frieden machen mit der Vergangenheit und meine Geschichte besser annehmen.

Glaubst du, dass du jemals wieder rückfällig werden könntest?

Meine Drogenerfahrungen liegen mittlerweile viele Jahre zurück. Gewissermaßen ist es ein durch die Erkrankung erzwungener Verzicht. Denn diese Abstinenz war und ist durchaus nicht selbstverständlich, die Erinnerungen an manche Rauscherlebnisse sind sehr schön, bunt und lebendig. Aber die Angst vor der Psychose wiegt schwerer und hält mich zurück. Daher glaube ich nicht, dass ich rückfällig werden könnte. Aber auch dafür gibt es nie eine Garantie, denke ich.

Was war der ausschlaggebende Punkt, dass du dich entschieden hast, deine Geschichte zu teilen und offen darüber zu sprechen?

Eine psychische Erkrankung stellt in unserer Gesellschaft weiterhin ein Stigma dar, über das man nicht gerne redet. Das möchte ich aufbrechen. Am wichtigsten ist mir daher, dass die Menschen durch mein Buch eine Möglichkeit haben, realistische Informationen über das Krankheitsbild Psychose zu bekommen. Nach meiner Erfahrung existieren da noch zu viele Vorurteile und einfach Unwissen. Aus Vorurteilen entstehen unbegründete Ängste und Ablehnung. Diese Dinge möchte ich durch Aufklärung abbauen.

In diesem Sinne kann mein Buch auch eine Informationsquelle für Angehörige und Freunde von Betroffenen sein, damit sie diese besser verstehen können.

Und Betroffenen möchte ich damit zeigen: Ihr seid nicht allein! Das kann auch ein beruhigendes Gefühl sein.

Was rätst du jemanden, der vermutet, dass ein Freund/eine Freundin durch Drogen in eine Psychose rutscht?

Holt euch zunächst alle Informationen, die ihr bekommen könnt!

Auf https://www.psychenet.de/de/psychische-gesundheit/informationen/psychosen.html findet ihr einen guten Einstieg zum Thema, was eine Psychose überhaupt ist, wie man sie behandeln kann und worauf man als Angehöriger achten sollte.

Auf https://www.drugcom.de/?id=beratung wird eine Online-Drogenberatung angeboten. Man kann sich im moderierten Chat austauschen und zusätzlich während der Sprechzeiten anonym und kostenlos beraten lassen.

Sprecht die betroffene Person behutsam auf eure Vermutung an. Zeigt sie sich offen für das Thema, überlegt gemeinsam, was jetzt hilfreich sein könnte, zum Beispiel, den Konsum einzuschränken oder ein Gespräch mit einem Arzt zu suchen. Sieht die Person das Problem nicht, sprecht mit der Familie der/s Betroffenen über eure Sorgen. Wendet euch an den Sozialpsychiatrischen Dienst eurer Stadt oder Gemeinde und überlegt gemeinsam, wie man im Sinne der/s Betroffenen helfen kann.

 

Eine Leseprobe von Florian Reisewitz‘ Buch „Von Goa nach Walsrode: Auf Drogen und Psychosen“ findet ihr auf www.balance-verlag.de/de/buecher/detail/book-detail/von-goa-nach-walsrode.html. Kaufen könnt ihr sein Buch für 15 Euro ebenfalls unter dem Link oder bei Amazon oder Thalia.

 

Das könnte dich auch interessieren:
Rekordhöhe – Es gab noch nie so viele Drogen,- Alkohol,- und Suizidopfer
Minupren äußert sich zu Drogen und Minderjährigen auf Techno Partys