Reinier Zonneveld – Von Pop bis Hard Gaan

Der holländische Shootingstar erstaunte uns bereits im letzten Herbst, als wir ihn in seiner Heimatstadt Amsterdam getroffen und unter anderem über seine Live-Sets gesprochen haben. Die zelebriert er nämlich gerne über die ganze Nacht hinweg. Während dieses Treffens ließ der Musiker bereits durchblicken, dass ein Album nicht mehr allzu weit entfernt ist. Nun ist „Church Of Clubmusic“ auf seinem Label Filth on Acid erschienen und wir haben erneut mit Reinier Zonneveld gesprochen, um mehr über die Hintergründe des Albums zu erfahren.

Erst mal herzlichen Glückwunsch zur Fertigstellung und Veröffentlichung deines neuen Albums, Reinier! Auf „Church Of Clubmusic“ bringst du nicht nur verschiedene musikalische Stile zusammen, sondern auch ganz unterschiedliche Schaffensperioden. Manche der Track-Ideen und Skizzen waren rund zehn Jahre alt, wie bei „Frozen Keys“. Wie fühlt es sich für dich an, nun auch diesen alten Ideen eine Bühne, eine Bedeutung zu geben?

Das ist ein wirklich tolles Gefühl! Ich habe zwar nach wie vor Unmengen an Aufnahmen, Ideen und Konzepten, die auf ihre Vollendung warten, aber zumindest konnte ich nun einen kleinen Teil davon fertigstellen. Dieser Prozess ist jedoch enorm anstrengend, denn zum einen kann es passieren, dass Teile der Produktion oder Aufnahmen verloren gehen, versehentlich gelöscht werden oder Ähnliches, zum anderen muss man sich erneut in die Stimmung des Tracks versetzen, frisch eintauchen in etwas, was nun vielleicht schon Jahre zurück liegt. Wenn man sich dann daran macht, die Idee weiterzudenken oder lediglich auf den neuesten Stand zu bringen, gilt es, den ursprünglichen, meist noch sehr fragilen Vibe zu erhalten. Dass mir das bei einigen Albumtracks nun gelungen ist, freut mich sehr, und ich hoffe, dass ihr beim Hören dieselbe Magie verspüren könnt!

Nicht selten sagt man den unfertigen Projekten eine große Last nach. Sie werden zu Ballast und bremsen die Kreativität für neue Ideen.

Vermutlich werde ich es niemals schaffen, mich von allen „Altlasten“ zu befreien, aber es stimmt schon, es tut sehr gut, die Nummern zu beenden, an deren Potenzial man immer geglaubt hat. Leider gelingt mir das nicht immer und manche Ideen werden wohl oder übel auf der Strecke bleiben. 

Vielleicht ist das auch einfach Teil deiner Weiterentwicklung als Musiker, Reinier. Wenn du auf einen einzigen Stil fokussiert wärst, sähe es vielleicht ganz anders aus. Auf deinem neuen Album präsentierst du nun dein ganzes Produktionsspektrum: von ravigen Acid-Beats über melancholische und verträumte Sounds bis hin zu Pop. Wieso war es dir wichtig, eine so große musikalische Bandbreite zu präsentieren?

Ich wollte ein Album kreieren, das all die Musikstile beinhaltet, die ich mag und die auch im Studio eine Rolle für mich spielen. Während meiner „normalen“ Gigs habe ich für solche Sounds keinen Platz, da findet momentan nur härterer Techno statt. Bei meinen stundenlangen Live-Sessions hingegen habe ich die Möglichkeit, mich komplett auszudrücken und zu variieren. Dort starte ich mit langsamen House-Beats, steigere mich dann über Tech-House und Minimal zu Techno und bilde in einer Nacht den Sound zwischen 120 und 150 bpm ab.

Eine riesige musikalische Freiheit, die so nur wenigen DJs bzw. Live-Acts vergönnt ist.

Ich habe aber auch für beinahe jedes Genre etwas übrig und es macht mir Spaß, im Studio wie im Club, mich in mehr als nur einer Stilrichtung auszutoben. Ich ziehe daraus auch eine ganze Menge an neuen und frischen Ideen – für meine Kreativität ist das also sehr förderlich! Und um bestimmte Emotionen zu übersetzen, müssen einfach auch unterschiedliche Stile herhalten. Ich möchte das aber nicht falsch verstanden wissen, denn ein Album kann auch mit nur einem Stil toll funktionieren. „Church Of Clubmusic“ jedoch lebt von seiner Vielfalt.

In der heutigen Musikwelt würden dir wohl einige Leute dazu raten, für jeden Musikstil ein neues Projekt mit eigenem Namen zu gründen. Wie denkst du darüber?

Das sagt man mir tatsächlich schon seit Beginn meines Schaffens. Ich glaube jedoch, dass die Leute mittlerweile gut einschätzen können, wann sie welchen Sound von mir erwarten können. Außerdem macht es für mich Sinn, all die verschiedenen Aspekte meines Sounds unter einem einzigen, nämlich meinem richtigen Namen zusammenzuführen. Und während meiner Allnighter mache ich dann auch deutlich, dass all diese Genre-Variationen ihre Berechtigung haben.

Gehen wir doch auf den ein oder anderen Titel des Albums gesondert ein. „I Wanna Dance With You” ist beispielsweise eher Pop- als Clubmusik. Welche Idee steckt hinter dieser Produktion und welche Verbindung hast du zu Pop? Gibt es in dieser Welt auch Künstler, mit denen du gerne zusammenarbeiten würdest?

Dieser Track entstand frei von Hintergedanken oder einer bestimmten Absicht. Und obwohl er sich deutlich von dem unterscheidet, was ich für gewöhnlich produziere, hat auch dieser Sound seinen Platz verdient. Wenn ich durch Musik wie diese ein paar einfache, aber dennoch positive Emotionen hervorrufen kann, dann ist das eine tolle Sache. Manchmal braucht es auch einfach nicht mehr. Wenn es um eine Kollaboration geht, denke ich zuerst an Moby. Seine Alben stehen bei mir nach wie vor hoch im Kurs.

Im Titeltrack deines Albums hast du Aufnahmen aus einer Kirche verarbeitet. Wie lief das genau ab?

Als Pianist im Orchester spielte ich viele Konzerte. Ein Teil dieser Auftritte fand auch in Kirchen statt, da sie meist eine tolle Akustik bieten. Im Rahmen einer Probe bat ich den Chor und die anderen Musiker darum, ein paar einfache Phrasen für eine Aufnahme einzuspielen. Die Idee zum Track hatte ich bereits im Kopf, dass er sich im weiteren Verlauf jedoch zum Albumtitel entwickeln würde, war nicht klar. Das Konzert an sich hatte mit dem Album jedoch nichts am Hut. Ich freue mich trotzdem, dass die anderen Musiker mir bei der Aufnahme geholfen haben. Dafür bin ich ihnen dankbar.

Verglichen mit einem klassischen Konzert, war das für die Musiker bestimmt eine ungewöhnliche, wenn auch interessante Abwechslung.

Werfen wir doch ein Auge auf deine Sommertour, Reinier. Ich bin mir relativ sicher, dass da bereits einige Open Airs und Festivals geplant sind.

Ich vermute, dass dieser Sommer sich zu einem weiteren wilden Ritt entwickeln wird! Seit ein paar Jahren hat sich das immer weiter intensiviert. Ich freue mich, 2019 auf vielen Festivals und in renommierten Clubs spielen zu dürfen, und das auf der ganzen Welt verteilt.

Das hört sich gut an. Doch wo können dich unsere Leser in Deutschland hören?

Auch bei euch stehen eine Menge Gigs an! Unter anderem freue ich mich sehr auf die Nature One, das Ikarus, Echelon oder das Wasser mit Geschmack Festival in Süddeutschland. Wir planen außerdem einige Label-Showcases mit Filth on Acid bei euch. Dazu können wir auch bald mehr sagen.

Auf einem deiner Gigs entstand auch die Idee zum Albumtrack „Ibiza Disco Lights (I Don’t Wanna Stop)“.

Das hat mit einem Gig in Montreal in Kanada zu tun, den ich vergangenes Jahr gespielt habe – und eigentlich noch viel mehr mit der anschließenden Afterhour. Die Party im Vorfeld war auf jeden Fall großartig und so hatten wir uns spontan dazu entschlossen, noch eine Weile als Gruppe abzuhängen, bevor jeder in sein Bett kriechen und ich zurück nach Berlin fliegen würde. Während dieser Afterparty klingelte es dann an der Tür, ein Typ kam herein, der mir bereits im Club aufgefallen war – er hatte auf der Tanzfläche alles gegeben! „Wer wirklich gut feiern möchte, muss es so halten wie ich!“, versuchte er mir kurz darauf zu erklären. Er nannte es den „Ibiza Style”: „The second day is easy; everybody can manage that. The third day will be very hard but keep on going and you’ll see that on the fourth day you will have more energy than ever and …” – ab diesem Zeitpunkt habe ich ihn aufgenommen – „… when I walk into a club in Ibiza, I go …” Das war in dem Moment wirklich superwitzig, auch wenn wir uns sicher sein können, dass man seinen Rat nicht allzu ernst nehmen sollte. (lacht)

Nimmst du noch viele dieser Afterpartys mit? Bei deiner Tour stelle ich mir das ziemlich anstrengend vor. Es klingt auf jeden Fall so, als ob du deinen Fans und Hörern sehr nahestehst.

Na ja, die Sache ist die, im Club oder auf dem Festival bin ich zuallererst mal auf mein Set konzentriert. Ich möchte ja schließlich gute Arbeit abliefern. Wenn ich also mit neuen und alten Freunden noch etwas Zeit verbringen möchte, dann passiert das am ehesten in Form einer Afterhour. Aber glaub mir, manchmal fehlen mir die alten Zeiten und das Feiern mit meinen Leuten im Club schon sehr!

Zieht es dich also auch noch in den Club, wenn du selbst mal nicht spielen musst?

In einem Club zu spielen oder einfach nur dort feiern zu gehen, sind ja zwei komplett unterschiedliche Erfahrungen. Natürlich liebe ich das Spielen, versteh mich nicht falsch, doch einfach mal wieder eine Nacht durchtanzen ohne Stress oder Verpflichtungen, das kann mir genauso viel Spaß machen.

Viele andere DJs suchen vermehrt die Ruhe der Natur, die Nähe zur Familie oder versuchen schlichtweg, Schlaf nachzuholen. Ist der Club der Ort, an dem du dich am liebsten aufhältst?

Ja, das kann ich gut nachvollziehen und so halte ich das auch – mehr oder weniger zumindest. Dass der Club mein Lieblingsort ist, würde ich jetzt nicht sagen. Und wenn ich gerade so darüber nachdenke, fällt es mir ehrlich gesagt schwer, da überhaupt einen bestimmten Ort zu nennen.

Als unentwegt Reisender wäre das wohl auch eher hinderlich.

Wenn wir einen Blick zurück werfen, nur auf die letzten Monate, dann tun sich da beachtliche Dinge hervor: Gigs auf bekannten Festivals, ausverkaufte Live-Shows, eine Kollaboration mit Carl Cox und ein erfolgreiches erstes Jahr mit deinem Label Filth on Acid. Das sind Meilensteine, die manch andere in einer ganzen Karriere nicht verzeichnen können. Hast du dir bereits neue, konkrete Ziele gesetzt?

Ich bin wirklich unglaublich froh und dankbar, dass bisher alles so gut lief. Und ein Ende ist hoffentlich noch lange nicht in Sicht! Ich arbeite hart daran, mich weiter zu verbessern, regelmäßig neue Musik zu veröffentlichen und täglich meiner Leidenschaft nachzugehen. Und solange ich jeden Tag damit verbringen kann, Musik zu machen, aufzulegen oder zu produzieren, werde ich glücklich und zufrieden sein.

Hört sich ganz nach der Verwirklichung eines Lebenstraums an.

Wie sieht das Jahr für Filth on Acid aus? Welche Releases stehen nach deinem Album bereits in den Startlöchern?

FoA wird auch in diesem Jahr weiter wachsen! Im März hatten wir unsere erste Label-Party im Berliner Ritter Butzke, und das war gleichzeitig die erste dieser Art außerhalb von Amsterdam. Ein großartiger, internationaler Auftakt, der nicht besser hätte laufen können: volles Haus und tolle Stimmung auf der Tanzfläche. Daran wollen wir natürlich auf der ganzen Welt anknüpfen. Es ist leider noch etwas zu früh, um mehr verraten zu können, aber man darf sich definitiv auf mehr „Filth on Acid“-Showcases in unterschiedlichen Ländern freuen. Auch was Veröffentlichungen betrifft, sind wir gut aufgestellt: Diesen Sommer erscheinen Bart Skils Remix zu P.U.S.H.s „Universal Nation“ und eine EP, die ich in Zusammenarbeit mit Carl Cox und Christopher Coe produziert habe.

Der Remix zu „Universal Nation“ hat bereits Wellen geschlagen, nachdem Bart ihn unter anderem über Adam Beyers Drumcode Radio präsentiert hatte. Im Anschluss wurde er von Fans aus dem Set geschnitten und auf YouTube hochgeladen. Wie stehst du zu solchen Aktionen?

So wirklich aufhalten lassen sich solche Dinge ja sowieso nicht. Ich meine, das Original, aber auch der Remix von Bart ist wirklich stark! Und dass man sich die Mühe macht, den Remix separat hochzuladen, zeigt mir eigentlich nur, wie viel Bock die Leute auf diese Nummer haben.

 

Aus dem FAZEmag 087/05.2019
Text: Julian Haussmann
Foto (c): The Media Nanny
www.churchofclubmusic.com

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