Produzenten kennen das Drama: die stundenlange Suche nach der perfekten Kickdrum. Das tagelange Basteln an einer Nummer, um das Projektfile letztlich wieder zu verwerfen, weil man sich darin verrannt hat. Es ist die endlose Sehnsucht nach der zündenden Idee, nach dem i-Tüpfelchen, um aus der B-Seite jetzt den absoluten Knaller zu machen. Im Kopf fühlt man schon den richtigen Beat, im Ohr ertönt die imaginäre Hit-Melodie, einzig muss der „Hit von morgen“ nur noch produziert werden. Doch schnell stellt man fest: was da im Hinterköpfchen summt, ist gar nicht so leicht zu Blatt zu bringen und am Ende entsteht etwas völlig anderes aus der ursprünglichen Idee, was aber gar nicht schlimm sein muss.
Nachdem ich eure Aufmerksamkeit mit der Überschrift gewonnen habe, reiße ich euch direkt aus den Träumen wieder heraus: Es gibt kein Geheimrezept für eine perfekte Produktion, aber zumindest kann man alle notwendigen Grundlagen dafür schaffen. Doch was definiert man überhaupt als solche? Ist es der obligatorische Hit? Oder einfach nur ein amtlicher Beat mit einem Monsterbreak? Machen wir uns nichts vor. Perfektionismus liegt immer im Auge des Betrachters. Jeder hat seinen eigenen Anspruch an die Musik. Der eine strebt nach dem Radio-Hit, der andere nach dem Club-Groove, einem harten Techno-Brett oder manch einer gar nach ein paar melancholischen, Herzschmerz bereitenden Harmonien fernab elektronischer Verhaltens-Rhythmen.
Ein guter alter Weggefährte hat mir vor vielen Jahren eine Weisheit mit auf den Weg gegeben, die es auf den Punkt bringt: „Es ist völlig egal, wie du es machst. Wichtig ist, was am Ende des Tages dabei herauskommt!“ Das vielzitierte „It´s the ear, not the gear“ trifft den Punkt.
Ich bin über die Jahre schon so vielen fantastischen Produzenten begegnet, die aus wenig sehr viel herausholen – im Umkehrschluss aber auch welchen, die mit sehr viel Equipment leider nur Beschauliches anrichten. Das größte und teuerste Studio nützt nichts, wenn man nicht selbst in der Lage ist, aus jedem Gerät das Maximum herauszukitzeln und da hilft kein Handbuch, sondern nur die eigene, unbändige Kreativität. Es gibt Produzenten, die einen Fuhrpark voller Luxuskarren haben, sich aber symbolisch gesehen jeden Tag immer wieder in das gleiche Auto setzen. Andere produzieren wiederum ihre Musik mit kostenfreier Software auf Muttis Stereoanlage und erreichen damit Millionen Menschen.
Das Geheimnis hinter der ganzen Musikproduktion ist und bleibt der eigene Verstand – im Einklang mit den geschulten Ohren. Das kann man sowohl in einem kleinen als auch in einem großen Studio ausleben, wenn man alles hat, was man zum Umsetzen seiner Ideen braucht, sei es Soft- oder Hardware. Man wird selbst früher oder später an die Grenzen selbiger geraten und erst dann macht es Sinn, sein eigenes Setup zu erweitern. Sich aber grundlos teures Material zuzulegen, nur damit man es da hat und man vor Freunden möglichst cool da steht, macht für meine Begriffe wenig Sinn. Es bedient eher das „Wer hat den Größten?“-Klischee. Ich wurde oft gefragt, was ich in meinem Studio alles habe, aber die Antwort darauf ist völlig irrelevant. Denn was für mich richtig ist, kann für jemand Anderen völlig falsch sein.
Sich etwas abzuschauen kann hilfreich sein, aber das gleiche Equipment zu kaufen, was der Lieblingsact benutzt, erfüllt meist nur die halbe Wirkung. Es ist wie das Sampeln einer fetten Kick aus seinem Lieblingstrack. Baut man sie dann in den eigenen Song ein, verpufft meist die Wirkung. Schließlich braucht jede Bassline eine andere Kick, um fett zu klingen.
Fazit: Was des Grafikers Augen sind, sind des Produzentens Ohren. Das Streben nach Perfektion liegt kreativen Menschen im Blut. Man ist niemals mit sich selbst zufrieden und das ist gut so, denn sonst würde man sich auch nicht weiterentwickeln. Also, egal ob Trabi oder Benz, trust your ears! Perfektion ist und bleibt Ansichtssache.
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Bild: ZOVV