Kaffeetrinken bei Oma und jeder kennt die Geschichten: „Ach Junge, früher war alles besser!“. Aber war es das wirklich? Es war halt anders. Zeiten ändern sich und Veränderungen tun gut. Meine bisherigen 15 Jahre als DJ bieten daher einen guten Anlass zu reflektieren:
Bookings
Früher: Man hat alles selber gemacht. Verträge gab es keine, mündliche Absprache genügte.
Heute: Ohne Agentur geht nix und das ist aus Erfahrung auch besser so.
Musikauswahl
Früher: Die Post verfluchen, weil das Vinylpaket nicht pünktlich zum Wochenende eingetroffen ist. Dafür sich über 12Inch Limited Releases freuen wie ein kleines Kind. Musik spielen, die halt nur sehr wenige hatten. Das war Gold wert.
Heute: Musik zu jeder Tag- und Nachtzeit problemlos herunterladen, auch dank Auswahl im Überfluss.
Equipment
Früher: Platten voller Vinyl schleppen. Rückenschmerzen.
Heute: USB-Sticks in der Hosentasche. Trotzdem Rückenschmerzen.
Anreise
Früher: Irgendein Kumpel wird schon fahren, notfalls Mitfahrgelegenheit suchen.
Heute: Erste Klasse Bahn, vorher in der DB-Lounge chillen. Fliegen: Mit dem Silber- oder Goldkärtchen wedeln und in der Lounge erst mal ordentlich vollfressen.
Hotel
Früher: Im Backstage steht eine Couch, das reicht. Das Band-Appartment direkt über dem Club geht auch.
Heute: Aufregen, wenn das Kingsize-Bett nur 1,40 Meter breit ist.
Artist-Dinner
Früher: Mit den besten Kumpels huckepack am McDrive-Schalter einreiten und zum Happy Meal drei Bier bestellen. Und sowieso: Fettige Burger forever!
Heute: Zum Essen nur ein Wasser, gesund ernähren, Kalorien zählen. Den Diätplan kennt man längst auswendig.
Vor der Party
Früher: Vorglühen und dabei den Gig fast verpassen.
Heute: Vorschlafen, damit man beim Gig noch stehen kann.
Player im Club
Früher: Plattenteller feinjustieren. Auf Erdung achten. Immer eine Carbon-Bürste in der Hosentasche.
Heute: Aufregen, wenn die vier CDJ-2000 NXS nicht verlinkt sind.
Erfahrungswerte
Früher: Rookie. Probieren geht über Studieren. Nach drei Bier klappt aber plötzlich alles.
Heute: Unbezahlbar. Man weiß, wie man die Crowd zur richtigen Zeit anpacken muss. Sogar ganz ohne Pegel.
Alkohol
Früher: Bei jedem Übergang einen Shot.
Heute: Kenne dein Limit, heißt: blau nach drei Kurzen.
Abrechnung
Früher: Ewige Diskussionen über 30 EUR Taxigeld.
Heute: Die Gage ist schon Wochen vorher auf dem Konto.
Afterhour
Früher: Klar doch, Vollgas! Schlafen kann ich, wenn ich tot bin.
Heute: 30 Minuten nach dem Gig im Hotel liegen und die Wiederholung der Nashorn-Doku von gestern Abend schauen. Nach drei Minuten einschlafen.
Frühstück
Früher: Sieben Bier sind auch eine vollwertige Mahlzeit. Prost!
Heute: Wecker auf 10 Uhr stellen, damit man im Hotel noch frühstücken kann.
Check-out
Früher: Vom Putzpersonal unsanft aus dem Zimmer gejagt.
Heute: Weit vor dem Check-out in der Lobby sitzen und auf den Fahrer warten. Da wo früher Platten im Koffer waren, befinden sich heute Artikel aus der Minibar und dem Badezimmer.
Gig-freies Wochenende
Früher: Kein Grund, nicht trotzdem zu feiern.
Heute: Ausflug ins Grüne, Wellness, Hauptsache Ruhe!
Sport
Früher: … ist Mord. Zählen Stadionbesuche auch?
Heute: Joggen, EMS-Training, Radfahren. Stichwort Cardio: jeden Tag ausreichend bewegen.
Fazit: In Erinnerungen schwelgen und sich über seine eigenen Eskapaden amüsieren: Check! Aber trotzdem lebe und liebe ich das Hier und Jetzt. Geschichten wiederholen sich über Generationen, denn irgendwie erkenne ich Vieles aus den Jugend-Anekdoten meiner Eltern wieder.
Im zunehmenden Alter lebt man sein Leben bewusster, ausgiebiger, leidenschaftlicher. Mit der Erfahrung lassen sich viele Dinge gelassener angehen. Als DJ hat man irgendwann alles schon einmal erlebt, aber das macht keineswegs müde. Da, wo es schön war, kehrt man um so lieber wieder hin zurück.
Und allen Ravern, die Angst vor dem älter werden haben, sei gesagt: Keine Sorge. „Party hard“ geht immer noch wie früher, lediglich die Regeneration dauert ein paar Tage länger.
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