Starallüren in der Muttermilch – die Kolumne von Marc DePulse

Starallüren in der Muttermilch – Marc DePulse
Marc DePulse – aus dem Leben eines DJs: Starallüren in der Muttermilch

 

Kaum drei Haare am Sack, aber schon im Puff vordrängeln – ein Spruch, der mich seit frühester Jugend amüsiert, gleichsam aber viele Parallelen aus dem alltäglichen Leben kennt. Umgemünzt auf die Szene könnte man sagen: kaum drei Releases auf dem Markt und schon einen auf dicke Hose machen. Es ist das „Sorry, bitte frag meinen Manager!“ des kleinen Mannes, der noch nichts gerissen hat, sich aber längst über den Dingen schweben sieht. Völlige Selbstüberschätzung durch fehlende Erdung.

Respekt und Bescheidenheit sind zwei wichtige Tugenden im Leben. Vergiss nicht, woher du gekommen bist. Denn jeder heute auch noch so gefeierte Star-DJ hat einmal klein angefangen und für ein paar Getränkebons im Club um die Ecke seine ersten Übergänge verrissen. Auf dem Weg nach oben muss man viele Steine alleine aus dem Weg räumen, aber man sollte die ebenso vielen helfenden Hände respektieren und würdigen. Menschen, die einem zu dem gemacht haben, was man heute ist und ohne die man niemals da wäre.

Sich fühlen wie Gott in Frankreich und auch mal einen raushängen lassen? Aber klar, das machen wir doch alle immer mal wieder – ohne dabei jedoch die Bodenhaftung zu verlieren. Natürlich ist es ein schönes Gefühl, wenn die zusammengemischte Konserve gut ankommt und fühlt sich noch besser an, wenn es sogar die eigene Musik ist, die da gerade den Floor zum blubbern bringt. Aber erfinden wir das Fahrrad neu? Nein. Sind wir dadurch jetzt bessere Menschen? Nein. Wir kochen alle mit Wasser, egal mit welchem speziellen Talent wir gesegnet sind. Wahre Coolness kommt von innen, wirkt nicht aufgesetzt, sondern selbstbewusst und bodenständig. Hin und wieder darf also gern einmal selbstkritisch reflektiert werden: Muss ich ständig den dicken Macker spielen, nur um meinen kleinen USB-Stick zu kompensieren?

Es wird in der gehypten Scheinwelt leider immer mal wieder vergessen, dass es nicht der DJ alleine ist, der eine gelungene Veranstaltung ausmacht. Er bzw. sie ist lediglich am Ende der Kette einer der Hauptverdiener des Abends. Sind die heimlichen Stars doch meist die Leute dahinter, die es über die Jahre geschafft haben, sich in einem schwierigen Markt zu etablieren und auch viel zu oft Verlustgeschäfte kompensieren mussten, während der gefeierte DJ auch bei schlecht besuchten Partys meist trotzdem seine volle Gage erhielt.

Das Fetzer-Business ist eine Wohlfühl-Oase für Möchtegerns. Klar, ein aalglatter Typ elektrisiert keine Massen, aber so manchem möchte man gerne zurufen: Nein, Boy. Mit deinem Laptop, deinem Marken-Pulli und deiner Hochglanz-Frise bist du noch lange kein Rockstar! Und irgendwann wird aus jedem Influencer einmal Influenza, denn jedes Treppchen hat schließlich seinen Zenit und Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. Die Erkenntnis kommt meist spät, aber sie kommt. Erfolgreich zu sein, heißt Demut walten zu lassen und überhaupt erst einmal zu lernen, wie man sich mit seinem Status professionell verhält. Der Spruch: Man sieht sich immer zweimal im Leben gehört mit Edding hinter jedes grüne Ohr.

Wohl dem, der in seinem geregelten „9-to-5“-Job regelmäßig montags geerdet wird. Wenn die glorreiche Feierblase zerplatzt, indem man zur Abwechslung wieder mal Kontakt zur normalen Welt hat. Doch es ist schwer für gehypte Kiddies, die ohne solche Erdung mit viel Cash in die Erfolgslaufbahn geworfen werden. Die Gesellschaft trägt ihr übriges dazu bei, wie Werte und Normen vertreten werden. Was sind z. B. Verträge noch wert, wenn sich Vorbilder wie Fußballer ganz einfach wegstreiken? Was will man dem Nachwuchs damit vermitteln – dass man trotzdem die Treppe hoch fällt? Auch dies ist die schöne Kehrseite. Denn das passiert nur, solange man die Gunst der Stunde auf seiner Seite wähnt. Und diese Zeit ist in der Regel stark begrenzt, wenn man im Hintergrund nicht permanent an den Stellschrauben dreht und sich immer mal ein Stück weit zurück nimmt. Der stete Tropfen …

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Das Publikum aus DJ-Sicht

 

 

www.marc-depulse.com
Foto:
Jörg Singer/Studio Leipzig