Track-Check: Marc Acardipane feat. Pilldriver – Pitch-Hiker (Original Mix) [Remastered 2020]

Marc Acardipane gilt als Urvater des Hardcore Technos. Der Track „Pitch-Hiker“ (feat. Pilldriver) aus dem Jahre 1995 gehört zu seinen erfolgreichsten Werken und ist ein zeitloser Klassiker. „Pitch-Hiker“ besteht aus einer einzigen Kickdrum und doch steckt noch viel mehr dahinter. Uns erklärt Marc Acardipane, wie die Nummer entstanden ist.

 

Kannst du dich erinnern, als du diesen Track das erste Mal live gespielt hast?

Ich glaube, das war bei unserem allerletzten PCP-Auftritt in Leipzig, im Jahre 1995. Damals wie heute, hatte ich 12 Kicks aus meinem Original-Track gesamplet und auf 12 der 16 Pads meiner Akai MPC-3000 gelegt. Die anderen Pads waren bzw. sind mit einer 909-Clap, einem 909-Crash und dem Oberheim-Intro-Synth-Sound von „Awake in Neo-Tokyo“ belegt. Die Clap dient nur als Metronom, da ich die Kicks live über die Pads spiele.

Für den Laien besteht das Arrangement aus einer einzigen sich beständig modulierenden Kickdrum. Wurde für den Grundsound tatsächlich nur ein Sound verwendet?

Ja, nur die Kick meiner Roland TR-909. Ich hatte gerade die A-Seite „Awake in Neo-Tokyo“ fertig aufgenommen und brauchte schnell noch eine B-Seite. Dass diese dann der große Hit wurde, hatte keiner kommen sehen. Nachdem auch Carl Cox und Laurent Garnier 1995/1996 anfingen, „Pitch-Hiker“ zu spielen, gab es kein Halten mehr. Die Platte wurde global und auch außerhalb der Hardcore-Szene bekannt. Durch unzählige Nina-Kraviz-Videos, in denen sie den Track als Closing spielt, wurde „Pitch-Hiker“ 2018 dann noch einmal wiederbelebt – das hält bis heute an. Die A-Seite kennen nur die PCP-Die-Hards. Manchmal werden eben die B-Seiten die Hits. Wer kennt noch die A-Seite von „Prince & The Revolution – Kiss“? (lacht)

Der Sound wird verzerrt, gefiltert, gepitcht, verhallt, gestretcht und noch viel mehr. Wie hast du diese Effekte kreiert?

Die Effekte habe ich mit einem externen Mic-Preamp, dem Line-Gain meines Pults, zwei EQs – einem externen und dem aus meinem Pult –, einem Compressor, einem Gate, einem Delay und einem Reverb kreiert. Ein perfektes Zusammenspiel dieser Komponenten, d. h. wie sie miteinander interagieren, war dabei sehr wichtig. Während der Aufnahme habe ich nur das Gain vom Mic Preamp, das Line-Gain vom Pult, den EQ vom Pult, die zwei Send-Returns für das Delay und den Reverb live moduliert.

Wie ist das Arrangement entstanden? Hast du es live oder digital arrangiert?

Ich habe alles live und direkt auf DAT-Tape aufgenommen, ohne späteren Edits. Harddisk-Recording hatte ich damals noch nicht. Es war ein First-Take-to-Tape – die erste Aufnahme saß bereits perfekt. Mit allen Einstellungen hat die Entstehung der Aufnahme vielleicht 15-20 Minuten gedauert.

Worauf hast du beim Mixing und Mastering geachtet, sodass du dich voll auf die Drums konzentrieren konntest?

Der Mix ist während der Performance entstanden – Das war ja auch nicht anders möglich, da ich alles live performt habe. Nur die Kick hatte ich vorher ein wenig eingepegelt, also die möglichen lautesten Passagen. Gemastert, so wie wir es heute kennen, wurde der Track nicht. Bei der Vinyl-Überspielung wurde vielleicht nochmal ein EQ eingesetzt, aber das war es auch schon.

Welche Tools kannst du aktuell empfehlen, wenn es um die Verzerrung von Drums geht? 

Ich arbeite immer in mehreren Distortion-Stufen – mittlerweile wieder komplett analog. Wenn man nur eine Distortion-Unit benutzt, kann es schnell matschig klingen. Außerdem geht dadurch schnell mal der Punch verloren – gerade bei Kicks und Snares. Eine Standard-Kette habe ich nicht – Ich stecke alles immer wieder neu. Vielleicht fange ich mit einem Preamp an, gefolgt von einem EQ, dann wieder ein Preamp oder ein Distortion-Pedal. Danach füge ich wieder einen EQ oder vielleicht einen Compressor ein – Oft ist es der pure Zufall, der zum Ergebnis führt. Wichtig ist in der analogen Welt vor allem das Gain-Staging. Das heißt, mit wieviel Lautstärke ich irgendwo reingehe. Ich hatte neulich zwei Distortion-Pedals – ein Attennuator-Pedal und ein Gain-Pedal – an meinen Roland Juno-106 angeschlossen. Nach einer kurzen Session kam ein extrem geiler Sound dabei heraus. Durch das Gain-Staging und dem Programming des Juno-106 – während alles angeschlossen war –, hatte der eigentliche Synth-Sound mit dem Original nichts mehr zu tun. Es war am Ende nicht mal mehr ein Sound, nur ein Knacken. Aber durch die Kette wurde es zum Sound. Verändere ich jetzt nur ein Lautstärkenverhältnis, zwischen den Pedals oder dem Gain des Juno-106, dann verändert sich der Sound radikal. So entstehen die besten neuartigen Sounds.

Arbeitest du auch mit digitalen Distortion-Plug-ins?

Ja, die setzte ich aber erst ein, wenn ich alle Drums analog in Ableton aufgenommen habe. D16 Decimort 2, Soundtoys Decapitator, iZotope Trash 2 und Alliance Unfiltered Audio Dent 2 sind meine Favoriten.

Dein Tipp, der dich im Studio so richtig weitergebracht hat?

Es ist wichtig, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Emotionen, Melodien, Sounds und Arrangements zu erzeugen, ist viel wichtiger als ein RMS von -3db. Musik muss Gefühle und Erinnerungen kreieren – nur so wirst du unsterblich als Künstler. Zu viele Producer heute haben keine Inhalte in ihrer Musik und nur mittelmäßiges bis gar kein Talent. Das versuchen sie dann, durch technisches Knowhow zu kompensieren. So ähnlich wie im Online Casino Adventskalender.

 

 

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Foto: Laura Weber