Marc DePulse – aus dem Leben eines DJs: Trautes Heim, DJ allein
„Thanks for having me, Wohnzimmer!“, „What a great night I had at Schlafzimmer.“,
„Küche, that was one for the books“, „Kinderzimmer, you killed it!!!“ – jeder DJ, anno März/April 2020. Daheim allein. Arbeitslos. Ausgeschlafen. Völlig unfreiwillig, versteht sich.
Mein Lieblingsbier aus den 1990ern traf und trifft uns alle, egal aus welchem Berufszweig und aus welcher Lebenssituation wir gerade kommen. Corona also, Covid-19, der sprichwörtliche Killer für Selbständige, Künstler und Clubs? Die Zeit wird es zeigen, ob wir daraus Kraft und Energie schöpfen oder in den Ruin getrieben werden. Ob wir motiviert und hungrig aus der Krise hervorgehen oder an selbiger zerbrechen. Vermutlich erst gegen Ende dieses Jahres wird das ganze Ausmaß greifbar, die Folgen spür- und sichtbar.
Die erzwungene Pause wird zum Existenzkampf für Selbständige im unteren Verdienstsegment. Es trifft Menschen und Kleinunternehmen ohne Sicherheiten. Jene, welche ihren erzielten Umsatz direkt wieder dem Wirtschaftskreislauf zuführen müssen. Und das sind freilich nicht nur Künstler, Clubs, Zulieferer oder Agenturen, sondern ganze Wirtschaftszweige. Man muss sich einer noch nie zuvor dagewesenen Herausforderung stellen, ohne zu wissen, wann der Spuk endet und ob man danach überhaupt noch handlungsfähig sein wird.
Und aus DJ-Sicht? Dass mal ein Booking ausfällt – passiert. Dass auch mal zwei oder drei Auftritte gecancelt oder verschoben werden, tut weh, aber kann vorkommen. Das haben wir alle schon einmal erlebt. Zu Zeiten, als der Sommer im Lande sehr wechselhaft war und viele Open Airs sprichwörtlich ins Wasser gefallen sind. Auch wir haben schon mal aufgrund von Krankheit oder höherer Gewalt einzelne Gigs nicht wahrnehmen können. Doch Corona fühlt sich an wie das nächste Level. Einer ganzen Branche sind bis Mitte/Ende April viele Aufträge weggebrochen und Stand jetzt kann keiner auch nur ansatzweise über potentielle Neuansetzungen reden. Wird es einen reibungslosen Übergang geben? Kommen Clubs und Künstler rasch wieder auf die Beine? Gibt es ein Jetzt-erst-recht-Gefühl oder platzt die ganze Blase? Wird der erste Rave nach der Krise einer für die Geschichtsbücher? Zumindest das kann man getrost mit „ja“ beantworten. Der Hausarrest trägt schließlich ein großes Verlangen nach Freiheit und Ekstase in sich.
Natürlich steht bei all uns DJs und Produzenten ein großes Fragezeichen über dem Kopf, gepaart mit Angst und Ungewissheit. Hand aufs Herz: Egal, wie sozial man gepolt ist, denkt man doch zuerst an sich. Kann ich meine Miete noch zahlen, meine Unkosten decken? Hilft mir im Notfall der Staat? Wenn ja, wie und wann? Kredite schieben das Problem zeitlich nur nach vorn. Wird es stattdessen ein bedingungsloses Grundeinkommen geben? Kann ich mich nicht einfach krankschreiben lassen? Vielleicht, wenn du eine (teure) Versicherung mit Krankentagegeld abgeschlossen hast. Kann ich mich arbeitslos melden? Ja, wenn du nicht genügend Rücklagen hast. Muss ich mir einen Job suchen? Zumindest sollte man immer einen Plan B in der Tasche haben.
Gerade war uns noch nach Champagner in der Badewanne zumute, schon klopfen die Existenzängste wieder an der Tür. Ein normales Szenario für Selbständige. Man lernt über die Jahre die Berg- und Talfahrten einzuschätzen, Schwankungen auszugleichen und genau für so etwas Rücklagen zu bilden, sofern irgend möglich. Uns allen zwicken im Moment die gleichen Wehwehchen. Doch man rückt wieder enger zusammen und das ist tatsächlich ein schöner Nebeneffekt.
Uns bleibt wie immer nur übrig abzuwarten. Den Mist auszusitzen, uns solidarisch zu zeigen und in den eigenen vier Wänden nach Inspiration zu haschen. Kreativität ist das höchste Gut, Gesundheit das A und O. Dafür hilft es, auch einmal zu entschleunigen. Die Zeit wird es zeigen, wo wir Ende des Jahres stehen werden. Bis dahin wünsche ich allen Berufskollegen ein Höchstmaß an buntem Output. Lasst euch nicht unterkriegen und stayt schön safe!
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Foto: Jörg Singer/Studio Leipzig