Geschichten aus dem leisen Raum – die Kolumne von Marc Depulse

Marc DePulse – aus dem Leben eines DJs: Geschichten aus dem leisen Raum

„Da saß ich nun. In der Mitte dieses Raumes. Allein. Umgeben von den grauen Mustern jener Wände. Isoliert von einer Welt voll Farben. Fernab von der Pracht, die mich jüngst umgab […]“. Zeilen aus meinem Track „Der Leise Raum“, den ich mit der Stimme von Uwe Thoma produziert habe. Einen Track, den es ohne Corona und Lockdown nie gegeben hätte.

Frühjahr 2020. Eine Zeit, an die kein Karriererückblick jemals vorbeikommen wird. Aus Himmel hoch jauchzend wurde zunächst Stirnrunzeln, später Schulterzucken und schließlich Kopfschütteln. Alle Träume zerplatzten und urplötzlich wurde man vor Aufgaben gestellt, für die man sich zu keinster Zeit berufen fühlte. In dieser Zeit saß ich – vermutlich wie wir alle – daheim, im Studio, mit leerem Blick an die Wand, umgeben von ganz vielen Fragezeichen, Existenzängsten und der vergeblichen Suche nach guten Nachrichten.

Kann man die Dinge heute doch viel einfacher einordnen, so war es zu Beginn der Pandemie mit stetiger Ungewissheit verbunden: Wann und wie darf ich meine Höhle verlassen? Was ist verboten? Den erlaubten Fußmarsch zum Supermarkt habe ich teils zelebriert wie eine Stunde Freigang im Knast. In dieser Zeit habe ich auch so viel Outdoor-Sport wie noch nie zuvor in meinem Leben getrieben, ernährte mich ausschließlich gesund, trank kaum noch Alkohol und nahm sogar 10 Kilo ab. Man möge gar von artgerechter Haltung eines Studiomusikers sprechen.

Anstatt Club, Flughafen oder Bahnhof hießen meine neuen Domizile Studio, Balkon und Park. Arg gespenstisch waren die Zeiten des sporteln oder spazieren anno dazumal, vor allem abends. Der Großstadtlärm hat sich auf ein Minimum reduziert. Man fühlte sich wie in einem Sperrgebiet. Kaum Autos, geschweige denn Menschen auf den Straßen. Den Rest der Zeit verbrachte ich in den eigenen vier Wänden. Für Musiker ist das ja nichts ungewöhnliches, außer dass man dort nun auch seine Wochenenden verbrachte und das Zeitgefühl nun völlig verlor. All das reflektierte ich, als ich den Text zu „Der Leise Raum“ geschrieben habe.

Musik und Text standen also, fehlte nur die Stimme, die ihn einspricht. Düster sollte sie wirken, dem Stück die Mystik und Tiefe geben, die es braucht. Beim zufälligen scrollen durch meine Facebook-Timeline entdeckte ich kurz darauf Uwe Thoma. Wir waren schon seit gefühlten Ewigkeiten befreundet, sind uns aber noch nie zuvor über den Weg gelaufen. Es war also eine rein digitale Freundschaft, wobei nicht mal klar war, wer wen einst hinzugefügt hat und warum. Doch nun erfuhr ich über den Beruf meines unbekannten Freundes. Uwe ist Sprecher, verleiht Funk, Fernsehen und Hörbüchern seine Stimme. Eine Stimme, die mir wie gerufen kam für mein Projekt. Und dann wohnt er auch noch – wie ich – in Leipzig. Schon nach ein paar Telefonaten stimmte schnell die Chemie und nach ein paar Takes und Stellschrauben stand die Aufnahme. Insgesamt hat uns das Werk drei Monate Zeit gekostet. Was lange währt, wird gut. Sagt man.

Einmusika Recordings haben nicht lange gezögert und sich den Track sofort gesichert, wo er schließlich am 6. November 2020 veröffentlicht wurde. Fast auf den Tag genau drei Jahre, nachdem ich bereits mein letztes Studioalbum „Kontrollverlust“ auf dem Berliner Label veröffentlichte. Das Video zum Track ist im Oktober im schönen Vogtland (Sachsen) entstanden. Und zwischen Uwe und mir ist mittlerweile eine richtige Freundschaft entstanden. In jenem Raum, in dem wir uns (mit Anstand und Abstand) begegnen. 2020 hat also doch nicht nur Schattenseiten.

 

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